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Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Titel: Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beltz & Gelberg
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Schön, dass du Manu einmal besuchst. Möchtest du eine Erfrischung?«
    Eine Erfrischung? Bei uns gibt es immer Wasser oder Saft. Und hier gibt es »eine Erfrischung«. Ich sage ja und dann schenkt sie mir ein Glas Fanta ein und drückt es mir in die Hand.
    »Vielen Dank!« Beinahe hätte ich einen Knicks gemacht.
    Dann ist Funkstille. Sie spricht kein weiteres Wort mehr mit mir. Es ist fast so, als hätte jemand bei einer elektrischen Puppe den Stecker rausgezogen. Völlig kraft los steht sie da, abgestorben. Mir wird ganz eigenartig.
    Manu beobachtet das alles mit finsterem Blick. Dann packt sie mich am Ellenbogen und stößt mich fast die Treppe hinauf und oben in ihr Zimmer.
    »So ist das eben«, sagt sie tonlos und schmeißt sich auf ein gemütliches Sofa vor dem Fenster. Dann beginnt sie, ohne auf mich zu achten, ganz leise zu erzählen: »Meine Eltern reden oft lange kein Wort miteinander. Ich weiß nicht, wozu wir überhaupt zusammenleben. Aber ich kann’s auch nicht ändern. Mein Vater ist fast nie zu Hau se, er schafft das Geld ran und arbeitet Tag und Nacht im Krankenhaus. Dort hat er wahrscheinlich genug um die Ohren. Ich sitze hier rum und fühle mich, als hätten sie mich im Kühlschrank vergessen. Und meine Mutter – manchmal ahne ich, dass sie von der Vergangenheit nicht loskommt. Hast du den Pullover gesehen? Sie trägt immer lange Ärmel. Darunter sind die Narben.«
    Mir bleibt das Herz stehen. Was denn für Narben? Auf den Armen? Hat sie versucht, sich umzubringen?
    »Narben von einem Überfall«, presst Manu raus. Ich sehe in ihr Gesicht. Es ist steinhart und doch sind ihre Augen voller Fragen. »Ich bin hier in Deutschland geboren. Ich weiß nicht so genau, was da war, vor meiner Zeit. Ich höre nachts meine Mutter manchmal weinen oder schreien und dann höre ich auch meinen Vater aufgeregt herumrennen. Manchmal stehe ich auf und treffe ihn in der Küche, wo er völlig fertig mitten in der Nacht ein Bier trinkt und mich hilflos ansieht. Ich weiß nichts, Tine, aber ich kann mir so einiges vorstellen. Und ich kann gar nichts machen. Sie reden ja auch nicht mit mir darüber. Ich weiß nur, dass ihre Flucht nach Deutschland irgendwas damit zu tun haben muss. Und jetzt leben wir hier zusammengesperrt in dieser Eiseskälte. Es ist zum Verrücktwerden!«
    Sie ist immer lauter geworden, das Letzte hat sie geschrien. Sie umarmt ein großes, grünes Kissen und drückt schluchzend ihr Gesicht hinein. Das alles ist wie in einem Horrorfilm. Ich stehe immer noch da, wie erstarrt. Was soll ich nur tun? Ich setze mich vor dem Sofa auf den Teppich und streichle ihre Hand. Und sage nichts. Worauf habe ich mich da eingelassen? Das alles wächst mir über den Kopf. Ich stehe unter Schock und trotzdem nagt eine Frage in mir.
    »Stehst du deshalb auf Graf? Damit du dich nicht so einsam fühlst?«, traue ich mich endlich zu sagen.
    »Kann sein«, ist ihre knappe Antwort.
    Seit damals auf dem Eis haben wir nicht wieder da rüber gesprochen. Muss auch nicht sein. Ich weiß sowieso nicht, was ich dazu sagen soll. Jetzt, wo ich sie besser kenne, finde ich das alles noch blöder. Sie hat das doch überhaupt nicht nötig und es macht sie nur noch mehr fertig, aber das sage ich nicht. Wer weiß, warum sie das macht. Wenn ich das richtig einschätze, sehen die sich vielleicht zweimal in der Woche und dann kann es auch nicht sehr lange sein. Sie hat in der ganzen Ferienwoche nicht ein einziges Mal zu mir gesagt, dass sie keine Zeit hat. Wir haben ja fast jede Minute miteinander verbracht und es war richtig gut. So gut, dass ich sie heute trotz allem Horror frage, ob sie Lust hat, am Wochenende bei mir zu übernachten. Das habe ich schon ewig niemand mehr gefragt. Früher, an der alten Schule, habe ich das oft gemacht, aber wie gesagt, am Gymnasium ist alles anders geworden. Meine Schwester Mella ist mit ihrer Ausbildungsklasse auf Klassenfahrt in Prag und ihr Bett ist frei, also passt das ganz gut.
    Manu hebt den Kopf und sagt sofort ja.
    Ich wundere mich: »Musst du nicht zuerst deine Mutter fragen?«
    »Nein, das interessiert meine Eltern nicht. Ich war mit Graf schon mal ein ganzes Wochenende verreist und sie haben nichts gefragt.«
    Dass ich sie so schnell trösten kann, macht mich richtig froh. Eben noch hat sie geschluchzt und geschrien und jetzt lächelt sie und fragt: »Darf ich dann Maria füttern? Baden wir sie auch?«
    Sie ist leicht umzustimmen. Zum Glück. Es ist gut, dass sie so ist. Dann erfriert sie

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