Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
ich sein. Aber ich habe kein Fieber und ich bin stinknormale Rechtshänderin. Und trotzdem kriege ich es nicht hin. Mehr gibt es dazu einfach nicht zu sagen.
»Ich möchte zurück an die Mittelschule.«
Jetzt bitte ich schon fast darum. Bin ich eine Versagerin? Was ist mit mir los? Früher habe ich gern gelernt und manchmal kommt das auch wieder. Aber irgendwas passt mir nicht. Es ist wie in einem zu engen Pulli. Ist es vielleicht die Stimmung in meiner Klasse? Die Streberei? Der widerliche Ehrgeiz? Alle tun so, als wären sie sonst was. Ich bin anders. Bis kurz vor den Ferien bin ich eigentlich allen Leuten aus meiner Klasse aus dem Weg gegangen, und auch jetzt müsste ich lügen, wenn ich sagen würde, ich könnte außer Ulli jemand wirklich gut leiden in diesem Streberhaufen. Ich habe – außer Sport und Ethik – kein einziges Fach, das mir Spaß macht.
»Wie stellst du dir das vor? Meinst du, an der Mittelschule wirst du mit offenen Armen empfangen? Meinst du, dort wird alles einfach?« Meine Mutter ist ernsthaft besorgt. Ich auch.
»Ich kann mich ja noch mal anstrengen«, winde ich mich heraus. Ich möchte lieber später noch mal darüber reden. Mir ist schon ganz schwindlig. »Musst du das denn schon wissen, wenn du zu Frau Schneider gehst?«
»Gut wäre es schon, aber vor allem denke ich, dass es dir für den Rest des Jahres besser geht, wenn dir klar ist, was du willst.«
»Vielleicht schlägt sie dir ja sowieso vor, dass ich vom Gymi runter soll.«
»Das glaube ich nicht. Sie ist sehr ehrgeizig und meint wohl, dass du bloß zu faul bist«, sagt meine Mutter. Haben sie am Telefon darüber schon miteinander gesprochen?
»Stimmt ja auch«, mischt Carsten sich ein.
»Nein, stimmt nicht!«, begehre ich auf. »Ich bin nicht faul. Ich habe einfach keine Lust.«
»Keine Lust ist kein Argument«, meint er.
»Was? Wieso nicht?« Was mischt der sich überhaupt ein?
»Weil es Pflichten gibt. Und ich denke sogar, es wäre deine Pflicht, das Gymnasium zu schaffen. Du hättest ganz andere berufliche Chancen, du könntest auf ganz anderen Wegen deinen Auftrag erfüllen.«
Auftrag? Wovon redet der denn? Ich habe doch keinen Auftrag. Ich bin erst dreizehneinhalb und soll einen Auftrag haben?
»Was soll denn das sein?«, fahre ich ihn an. »Soll ich vielleicht nach Afrika gehen und Brunnen bauen?«
»Kann sein, kann aber auch nicht sein. Jedenfalls glaube ich, dass jeder Mensch einen Lebensauftrag bekommt und dass es ihm erst gut geht, wenn er den kennt oder ahnt und versucht, ihn zu erfüllen.«
»Hast du das aus deiner Kirche?«, frage ich. Muss er wohl. So einen Blödsinn quatscht sonst keiner.
»Mag sein, dass Carsten das aus der Kirche hat«, heizt meine Mutter meine Wut weiter an. »Aber da stimme ich Carsten zu. Wir haben uns in letzter Zeit viel über dieses Thema unterhalten, auch wegen dir. Ich finde es toll, so über Menschen zu denken, dass jeder einen Auftrag hat. Das klingt so großartig, aber eigentlich ist einfach nur gemeint, dass das Leben von jedem Menschen einen tiefen inneren Sinn hat. Einen inneren Sinn, der irgendwie mehr meint als nur die kleinen Ziele, die man sonst im Leben so furchtbar wichtig nimmt.«
»Was sollte ich schon für einen Auftrag haben!« Ich fange an zu heulen. »Ich will verdammt noch mal meine Ruhe!«, schreie ich und renne raus. Wie Mella sonst. Kommen jetzt meine schlechten Zeiten?
Als ich später im Bett liege, gehen mir die Sätze immer wieder durch den Kopf. Auftrag?
Vielleicht ist mein Auftrag in der Mittelschule versteckt? Könnte doch sein, oder? Oder kann man den Auftrag nur an einer bestimmten Schule finden? Braucht man Abitur, um ihn zu erfüllen? Ich würde Carsten gern danach fragen, ich höre ihn und meine Mutter im Wohnzimmer reden. Aber ich bin zu stolz. Wäre ja noch schöner, wenn auch ich jetzt noch anfangen würde, diese komischen Sachen von ihm zu lernen. Reicht ja, wenn meine Mutter das macht.
Da überschwemmen mich wieder meine Tränen. Früher wäre meine Mami jetzt an mein Bett gekommen!, heule ich in mein Kissen. Ich armes Stiefkind! Ich komme bald um vor Selbstmitleid. Ich bin so verzweifelt, dass mir fast entgeht, dass der Kopf meiner Mutter über der Bettkante auftaucht. Als sie oben ist, legt sie sich neben mich. Oh!
»Ist gut«, flüstert sie. »Ist gut. Ich sag Frau Schneider, dass wir über einen Schulwechsel nachdenken. Okay? Und dann wirst du dort deinen Weg finden. Ich bin mir sicher. Aber traurig bin ich auch.«
Ich fühle
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