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Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Titel: Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beltz & Gelberg
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wenigstens nicht, auch wenn es kalt ist bei ihr, wie in einem tiefen Keller.

12
    Beim Abendbrot erzähle ich meiner Mutter, dass Manu zum Übernachten kommt. Sie freut sich. Sie hat sich immer gefreut, wenn wir unsere Freunde oder Freundinnen mit nach Hause gebracht haben. Aber jetzt sagt sie etwas Komisches: »Hoffentlich kann sich Manu hier richtig wohlfühlen. Das wäre schön.«
    In meinen Augen entstehen Fragezeichen. Carsten geht es offenbar auch so. Er sieht sie fragend an.
    »Wenn du sie siehst, wirst du wissen, was ich meine.«
    Ich verstehe Bahnhof. »Was willst du damit sagen?«, frage ich.
    »Ich weiß es nicht genau. Aber als ich sie das erste Mal gesehen habe, hat sie mir irgendwie leid getan. Ein kleines bisschen nur, aber ganz deutlich. – Sie ist wunderschön, musst du wissen«, sagt sie zu Carsten, »aber ihre Augen sind nicht nur melancholisch schön, aus ihnen sieht dich etwas Trauriges an.« Meine Mutter schweigt einen Augenblick. »Mehr kann ich nicht sagen. Oder weißt du, was dahintersteckt?«, wendet sie sich an mich.
    Soll ich was sagen? Ich suche über den Tisch nach Carstens Blick. Manchmal kann ich darin ablesen, wie ernst meine Mutter eine Frage meint und ob ich unbedingt antworten muss. Er schiebt Maria, die neben ihm auf ihrem Turmstühlchen sitzt, einen Happen Brot in den Mund, auf dem sie genüsslich herumkaut. Dann blickt er mich an, und ich kann deutlich sehen, dass er auf eine Antwort wartet.
    »Ihre Eltern sind komisch, das heißt, ich habe nur ihre Mutter gesehen, aber die war ganz eigenartig. Es gibt dazu eine grausame Geschichte, glaube ich. Irgendwas ist passiert und Manus Eltern mussten fliehen. Manu ist hier geboren, deshalb weiß sie nichts Genaues darüber. Sie reden nicht viel miteinander. Aber irgendwie klingt alles ziemlich schrecklich.«
    Ich kriege bei der Erinnerung daran immer noch eine Gänsehaut. Das andere, die Graf-Geschichte, verschweige ich. Wie soll ich es ihnen erzählen? Und vor allem, was würde dann passieren? Was müssen Erwachsene machen, wenn sie von so einer Geschichte hören? Manu würde mir bestimmt nie verzeihen. Also sage ich nichts. Aber meine Mutter merkt, dass etwas fehlt, ist ja klar. Zum Glück bohrt sie nicht weiter.
    Dafür kommt sie mit einem anderen Hammer: »Frau Schneider hat mich angerufen, ich soll zum Sprechtag kommen. Mir ist ziemlich klar, warum, dir auch?«
    Klar ist mir das klar. Frau Schneider ist meine Klassenlehrerin. Ich habe gerade einen Herzstillstand. Seit fast zwei Wochen habe ich mich um die Wahrheit herumgedrückt – jetzt ist es so weit.
    »Ich schaffe das nicht in der Schule. Ist mir alles zu hoch. Ich sollte wohl zurück an die Mittelschule gehen, oder?« Das sage ich, so leicht ich kann. Dabei fühlt sich mein Herz wie ein schwerer Stein an und mir steigen auch noch die Tränen in die Augen. Ich merke plötzlich, wie viel Panik ich vor der Schule habe und dass ich auf keinen Fall wieder in die Klasse will, weil ich dort der letzte Arsch bin. So oft verstehe ich nicht, worum es eigentlich geht.
    »Aber du bist doch so klug!«, sagt Carsten.
    »Das ist, was ich nicht in meinen Kopf kriege«, sagt meine Mutter. »Willst du wirklich zurück auf die Mittelschule? Meinst du das ganz ernst? Hast du dir überlegt, was da alles dranhängt?«
    Habe ich nicht. Ich habe eine Blockade.
    »Ja«, sage ich trotzig. »Ich kann ja später dann …«
    »Hör auf, dich rauszureden. Sag mir lieber, was los ist. Was ist es? Du hast früher mal gern gelernt.«
    Sie sollen aufhören! Aufhören! Wer kann mir helfen? Ich habe keine Lust mehr, zu lernen. Wenn ich nur daran denke, wie ich am Schreibtisch sitze und versuche, Physik zu begreifen! Dabei müsste ich doch bei meinen Genen ein Genie sein. Oder habe ich das alles von meinem Vater, dem Spinner? Ist meine Mutter deshalb so ratlos?
    »Mella war auch bloß auf der Mittelschule«, begehre ich auf.
    »Der Schultyp ist doch nicht das Problem«, sagt meine Mutter und das meint sie ehrlich. Das ist ihr, glaube ich, echt nicht so wichtig wie anderen Eltern. »Aber ich kann deine Entwicklung nicht nachvollziehen. Als ich dich vor drei Jahren gefragt habe, ob du dir den Stress am Gymnasium zutraust, hast du völlig selbstbewusst ja gesagt. Und damals warst du so, dass ich dir das sofort geglaubt habe.«
    Alle haben mir geglaubt und alle haben mir das zugetraut. Das weiß ich. Und ich weiß auch, dass ich die Schule eigentlich mit links und 40 Grad Fieber schaffen könnte. So eingebildet kann

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