Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
manchmal wie ein Kleinkind und kann ganz schön gemein sein, aber eigentlich sind wir unzertrennlich. Auf sie kann ich mich hundertprozentig verlassen. Da fällt es mir gar nicht so auf, dass ich ziemlich allein dastehe in meiner Klasse. Obwohl, ganz stimmt das nicht mehr. In den letzten Wochen habe ich es schon gemerkt und das war doof. Aber eine aus meiner Klasse hat sich ganz viel Mühe gegeben, mir in Mathe zu helfen. Ulli, kennst du sie? Sie hat mit mir gelernt und mit ihr bin ich befreundet. Doch … na ja … vielleicht …«
Ich würde gern noch ein bisschen weiter darüber nachdenken, da sieht mich Manu mit ziemlich strenger Miene an: »Aber dass du so allein dastehst, daran bist du selbst schuld. Du wirkst ziemlich abweisend, so wie: Ich hab das alles nicht nötig.«
»Im Ernst?« Ich richte mich überrascht auf. Mir wird ganz warm. »Das ist nicht wahr, oder?«, frage ich nach. »Ich komm mir vor wie ein kleines Hühnchen, und du sagst, ich würde unnahbar wirken. Das kann nicht sein!«
»Ist aber so. Als ich dich das erste Mal im Training gesehen habe, dachte ich gleich, was ist denn das für eine eingebildete Kuh, und erst siebte Klasse.«
»Aber jetzt weißt du, dass es nicht so ist? Ich will nicht allein rumstehen. Ich will nicht abweisend wirken. Jedenfalls jetzt nicht mehr«, traue ich mich zu widersprechen.
»Jetzt kenne ich dich besser, aber vorher hätte ich nie gedacht, was du für ein tolles Mädchen bist.« Ich werde knallrot.
»Vielen Dank für die Blumen«, so winde ich mich aus der Affäre, weil ich nicht weiß, wie ich zeigen soll, wie sehr ich mich freue. Anderes Thema bitte! Ich lege mich wieder hin, hole tief Luft und frage die Zimmerdecke: »Ist Graf dein Klassenlehrer?«
»Nein.«
Oh, Gott sei Dank.
»Dann haben deine schönen Prag-Erinnerungen nichts mit Graf zu tun?«
»Nein, eher mit Matthias. Aber das ist ein Jahr her. Ich war verliebt, aber da ist nichts draus geworden, was weiß ich, warum. Vielleicht hat er sich schon damals für Katharina interessiert.«
Sie redet vor sich hin und ich sterbe den Heldentod. Ich werde von einer reißenden Welle verschlungen und wieder ausgespuckt, von einem Sandsturm herumgewirbelt und krache mit lautem Knall auf den Boden. Mir tun alle Knochen weh. Ich sterbe!
»Kurz danach hab ich mich in Graf verknallt. Aber es hat fast ein halbes Jahr gedauert, bis ich zum ersten Mal in seinem Lehrerzimmer hinter der Turnhalle war. O Mann! Das war aufregend. Aber er hat schon alles gewusst, hat er gesagt. Und ich habe ihn auch schon lange interessiert. Und so ist es dann passiert. Es war so schön. Er ist unheimlich zärtlich. Richtig süß. Er ist ganz ausgehungert, sagt er immer. Er kann nicht genug von mir kriegen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schön das ist.«
Ich höre nicht hin, bin noch immer völlig benommen von dieser Höllenfahrt. Jetzt wird es spannend, und ich heule fast, weil »mein« Matthias, der mich noch nicht einmal aus den Augenwinkeln wahrgenommen hat, von Manu umworben wurde und jetzt mit Katharina, von der ich nicht einmal wusste, dass sie existiert, mit Beschlag belegt ist. Scheiße! Ich muss die Kurve kriegen. Ich kneife kurz die Augen zusammen, sage mir, dass ich eine blöde, kindische Kuh bin, und dann frage ich sie: »Redet ihr eigentlich manchmal über seine Familie?«
Obwohl sie mir dann in aller Ausführlichkeit von ihren Gesprächen erzählt, bleibt meine Abneigung gegen diese dämliche Geschichte unverändert. Das alles ist eine einzige große Lüge! Ich werde immer trauriger, je leuchtender die Farben werden, in denen sie ihre Liebe ausmalt. Sie schwärmt wie Mella, als sie damals von ihrem Steffen erzählte. Sie berichtet von seinen schönen Augen und wie klug er ist, wie witzig und unterhaltsam, was er alles weiß und wie verliebt er in sie ist. Mir kommt alles komisch vor. Wenn sie Graf zitiert, höre ich nur einen widerlichen, schmierigen Lehrer, mehr nicht.
Als sie mich nach einer Weile fragt, ob ich schon schlafe, knurre ich ein erschlagenes Ja. Ich will nicht, dass mich diese Geschichte weiter verrückt macht. Sie streckt den Arm nach der Lampe aus und löscht das Licht. Dann liegen wir wortlos nebeneinander.
»Gute Nacht«, höre ich sie sagen.
»Ja, gute Nacht, Manu«, antworte ich.
Sie ruckelt sich zurecht, und ich nehme an, sie ist dann bald eingeschlafen. Aber ich nicht. Mir geht die ganze Sache durch den Kopf. Ich sehe Graf, wie er sich von hinten an sie ranschleimt. Ich sehe sie, wie
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