Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
schaff das nicht. So ist es bestimmt besser«, versuche ich ihr zu erklären.
Sie holt tief Luft und sagt dann: »Egal. Auf jeden Fall müssen wir zusammen lernen, denn es ist bestimmt besser, wenn du dort mit zwei Vieren statt mit zwei Sechsen einsteigst.«
Daran hatte ich natürlich wieder nicht gedacht. Bin ich echt so blöd oder lebe ich in einer falschen Welt? Wieso sind die anderen alle so tüchtig und ich bummle einfach vor mich hin?
»Hast du schon mal überlegt, ob du einen Auftrag für dein Leben hast?«, versuche ich, Ulli mit einer kniffligen Frage auf andere Gedanken zu bringen. Wir haben die Schule erreicht und begrüßen die anderen aus der Klasse. Es bleibt uns noch ein bisschen Zeit bis zum Unterrichtsbeginn, und mich interessiert ernsthaft, was Ulli zu Carstens These zu sagen hat.
»Was soll denn das jetzt?« Sie klingt genervt.
»Carsten hat das gesagt. Der redet solches Zeug, und das mit dem Auftrag geht mir dauernd durch den Kopf. Hast du vielleicht eine Idee dazu?«, versuche ich mich zu erklären.
»Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Aber wenn du das so sagst … Ich muss überlegen. Wir könnten ja mal in Ethik fragen. Wäre doch ein Thema dafür, oder?«
Da ist sie wieder, die gute Ulli. Da habe ich sie doch wieder besänftigt.
»Aber wenn ich mir das so durch den Kopf gehen lasse, ich glaube, ich habe noch keinen Auftrag«, beschließt Ulli unser Gespräch und windet sich durch die Bänke, um sich zu den anderen zu stellen. Ich bleibe an meinem Platz und gucke raus auf den Gang. Vielleicht kommt Matthias vorbei? In dem Augenblick sehe ich Frau Stella. Sie nickt mir kurz zu. Soll ich sie einweihen?
16
Meine Mutter war bei Frau Schneider und kommt mit einer Hiobsbotschaft zurück: Dem Kollegium sei klar, dass ich an die Mittelschule zurückmüsse. Ich sei den Anforderungen des Gymnasiums ganz offensichtlich nicht gewachsen.
Ich sehe meine traurige Mutter und höre diese Hexe von Lehrerin geradezu reden. Eine riesige Wut steigt in mir auf. Ich platze fast. Wie immer bleibt mir die Luft weg. Ich schnaufe laut. Ich sehe alles unscharf. Es besteht die Gefahr, dass ich meine Mutter mit Frau Schneider verwechsle.
»Sie hat sogar gesagt, ich solle mit dir mal zum Psychologen gehen. Du seist so verschlossen und von deinen Mitschülern und Mitschülerinnen isoliert.«
Ich versteinere. Meine Zunge liegt mir wie Blei im Mund, als hätte ich die ganze Nacht gekotzt, und zugleich fliegen lauter wilde Vögel um meinen Kopf he rum. Ich bin doch nicht krank, oder?
»Ob es vielleicht an der neuen Familienkonstellation liegen könnte, hat sie nicht versäumt zu fragen. Stell dir das mal vor, Tine! Meine Unterstützung hast du, wenn du da wieder verschwinden willst.« Sie lächelt mich an.
Ich bin ihr unendlich dankbar, aber das macht die Wut über die Erniedrigung nicht kleiner. Das Kollegium! Ist Frau Stella da auch dabei? Waren sie sich einig, dass ich krank sein muss oder dass die neue Familienkonstellation mir schadet? Was fällt denen ein? Wie können die so über unsere Familie reden? Wie soll ich nur die ganzen Monate in dieser Schule noch aushalten? Die Stella ist jedenfalls bei mir unten durch und fällt aus als Vertrauenslehrerin. Schönes Vertrauen! Alles hin!
Ich klotze ran. Ich lerne mit Ulli, pauke und pauke. Ich versuche, mich in Deutsch zu konzentrieren, und halte einen Kurzvortrag über Harper Lee, für den ich eine glatte Eins kriege. Ich werde zur Streberin. So fühle ich mich. Ich will die Schande wegmachen. Aber ich tauge nicht zur Leuchte, nicht alles wird bestens. Doch ich gebe mir Mühe. Mein Entschluss, die Schule zu wechseln, steht zwar fest, aber es tut gut, den Ausdruck im Gesicht meiner Mutter zu sehen, als ich ihr eine Drei im Physiktest vorlege.
Die Stella wegen Manu anzuquatschen, fällt aus. In dieser Schule traue ich keinem, jedenfalls keinem aus dem Kollegium.
Ulli ist spitze. Sie hilft mir und immer wieder geraten wir in verrückte Gespräche über die unmöglichsten Dinge. Ständig fängt sie mit der Frage nach dem Lebensauftrag an. Und dann reden wir und reden. Das ist schön.
Manu treffe ich zurzeit nur noch beim Training. Seit ihrer Übernachtung bei uns schleichen mir meine Gedanken über sie und Graf wie dunkle Gespenster nach. Ich habe sie nicht wieder eingeladen. Ich habe mich nicht mal getraut, mich einfach mit ihr zu verabreden. Trotz unserer schönen gemeinsamen Ferienwoche. Ich muss immer wieder, wenn Carsten mit irgendwelchen »heiligen«
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