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Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Titel: Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beltz & Gelberg
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widerliche Idiot mich an meine Freundin und das ganze beschissene Desaster erinnert. Allerdings ist Manu zu mir ganz schön kurzangebunden. Ich erklär mir das so, dass es ihr peinlich ist, in der Schule mit einer rumzustehen, die zwei Jahre jünger ist. Würde ich auch nicht machen. Eigentlich schade.
    So kommt es, dass ich immer mehr mit Ulli unternehme als mit ihr. Das ist einfacher. Wir lernen und dann gehen wir mit Leo raus, so wie jetzt. Manchmal rennen wir durch den Wald und dabei quatschen wir die ganze Schule durch: Wer was mit wem hat und wie Mathe ist und warum Frau Neuber die Haare jetzt anders trägt. Der ganz normale Wahnsinn.
    Vorhin fragte Ulli mich, ob ich wisse, dass Manu was mit Graf haben soll. Ich habe sie genau gemustert, um rauszukriegen, ob das ein Test ist. Sie meinte es aber ganz ernst.
    »Wo hast du denn den Schwachsinn her?«, fragte ich übertrieben ahnungslos. Es ist so: Ich kann eigentlich nicht lügen. Ich stelle mich blöd an und verrate sofort, was Sache ist. Aber in diesem Augenblick war es wichtig, die Wahrheit zu verbergen.
    »Das wird erzählt, und wenn du das einmal gehört hast, siehst du auch genug Zeichen. Du siehst, wie er sie anfasst, wenn er was mit ihr zu besprechen hat oder so. Aber ist das nicht schrecklich?« Das sagte sie mit echter Entrüstung. »Das wird doch nie was, der ist doch verheiratet.«
    »Und wenn es doch stimmt?«, fragte ich sie. »Wer hat dann deiner Meinung nach Schuld?«
    »Wie Schuld? Keine Ahnung. Denkst du denn, dass es stimmt? Du hängst doch ziemlich viel mit Manu rum. Hat sie nie was gesagt?« Meine philosophische Frage hatte sie völlig vergessen.
    »Nein, hat sie nicht«, log ich. »Aber wir reden auch nicht über Graf oder so. Wir machen manchmal was zusammen, aber viel reden tun wir nicht. Sie ist irgendwie unnahbar.« Und sofort kriegte ich ein schlechtes Gewissen.
    Jetzt rennen wir um eine Ecke und ich rutsche auf dem Frühlingsmatsch aus. Fast fliege ich hin. Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort, fällt mir das blödsinnige Sprichwort ein. Was hat das hier mit Sünde zu tun? Dass ich lüge? Um meine Freundin in Schutz zu nehmen? Wieso kriege ich da ein schlechtes Gewissen? Und was soll Sünde überhaupt sein? So ein Quatsch!
    Ich gerate mit meinen Gedanken echt in dunkle Sackgassen. Woher kam vorhin eigentlich mein Gedanke an Schuld? Vielleicht weil Ullis Frage so klang, als würde sie Manu als Schlampe ansehen? Oder weil ich das schon ein paar Mal gehört habe: diese Schlampe? Dann, wenn sie angebaggert wird? Sie tut mir dann immer so leid und ich bin vor Wut sprachlos. Wenn ich nur wüsste, wie man auf so eine widerliche Anmache richtig reagieren soll! Wenn die Typen sie »Türkenbraut« nennen, stinkt mich das maximal an. Nur weil sie so schöne braune Haut hat und solche umwerfend nachtrabenschwarze Haare, kriegen diese dämlichen Angeber Träume von der türkischen Riviera.
    Da fällt mir ein, dass ich von Manu ja noch wissen wollte, ob ihre Eltern vielleicht wegen ihrer Religion aus dem Irak fliehen mussten und aus diesem Grund die Kirche in Manus Familie so wichtig ist. Aber ich vergesse dauernd, sie zu fragen. Stattdessen frage ich mich, was denn nun eigentlich los ist. Ich habe diese grausigen Schatten, die mich ständig verfolgen. Und in der Schule wird Manu anscheinend von allen Seiten beobachtet. Sie steht unter Verdacht. Hat sie das vielleicht mitgekriegt? Merkt sie, dass sie Schlampe genannt wird? Und ist sie eine? Gehört das Wort überhaupt hierher?
    An diesem Nachmittag vergesse ich sofort alles, was Ulli mir mühsam über Mathe beigebracht hat, weil ich mich in meinen Gedanken verrenne. Ich verabschiede mich von Ulli an den Gärten, die zwischen ihrer und meiner Straße liegen, und trabe nach Hause. Ich rede tonlos vor mich hin. Mit jedem Schritt sage ich mir, dass ich zu Manu halten will. Oder nicht? Ich will zu Manu halten. Oder nicht? Ich mag sie doch. Ich mag sie, obwohl sie diesen Scheiß mit Graf macht. Vielleicht kann ich ihr doch helfen? Die nächste Gelegenheit ergreife ich und dann lasse ich mich nicht wieder ablenken. Auch nicht von ihrer fröhlichen Seite, mit der sie mich um den Finger wickelt.
    »Wollen wir uns heute Abend zum Schlittschuhlaufen treffen?«, frage ich Manu, nachdem sie sich neben mir einen freien Platz gesichert hat und sich umzuziehen beginnt. In Leipzig kann man auch im Frühling aufs Eis, weil es einen Eisdom gibt, in dem zu jeder Jahreszeit eine Eisfläche präpariert

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