Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
selbst in Berlin war der Maßstab nicht lieferbar. Die Karten hätten in Italien bestellt werden müssen. Lieferzeit unbestimmt.
Wachse hatte einen Flug nach Italien ab Lübeck entdeckt. Allerdings war Pisa der Zielflughafen. Erst an dem kleinen Flughafen stellte ich fest, das sie auch für Ton und Technik gebucht hatte. Sie saßen zwei Reihen vor uns, hatten ihre Ohren mit kleinen Hörern verstopft und nickten im Rhythmus einer Musik.
»Ich wollte Geld sparen, damit sie mitfliegen können«, erklärte Wachse.
»Wir brauchen die beiden bei uns«, sagte Scotty. »Sie wissen, was wir wissen, also konnten wir sie nicht zurücklassen.«
»Das klingt, als würden sie sonst als lästige Zeugen umgebracht. Wer weiß noch von unserer Reise?«
Scotty drückte sich neben mir tief in den Flugzeugsitz und legte eine Hand auf meinen Arm.
»Du weißt, dass ich es tun musste«, sagte sie. »Als wir losfuhren, habe ich es den anderen gesagt.«
»Den anderen?«
»Jenen, die mich bezahlen.«
»Aber wenn du Geld brauchst ...«
»Nein, so nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab auch nur gesagt, dass du nach Pisa willst. Insofern verschleiert der Ort unser wahres Ziel.«
»Du hättest ihnen nichts sagen müssen. Pisa war nicht nötig, nicht einmal Italien.«
»Doch. Ich weiß nicht, wer diesen Detektiv bezahlt, aber er ist uns bestimmt bis zum Flughafen gefolgt.«
Ich erhob mich, betrachtete über die Sessellehnen hinweg die anderen Passagiere. Fast alles bunt gekleidete Urlauber, alle etwas älter. Auf dem Kulturtrip. Pisa, Siena, Florenz. Einige probierten großflächige Sonnenbrillen auf oder lasen in Reiseführern. Ein paar Reisende trugen Alltagskleidung. Etwas irritierte mich, aber Scotty zog mich zurück auf den Sitz.
»So schnell können die nicht sein. Außerdem haben wir die letzten Plätze bekommen.«
»Wo ist Wachse?«
Sie hatte vor uns gesessen. Ihr Platz war leer.
»Beim Piloten auf dem Schoß. Sie geht immer ins Cockpit. Man schlägt ihr nichts aus, vor Angst, Behinderte zu diskriminieren.«
»Du bist schon oft mit ihr gereist?«
»William nahm sie auf seinen letzten Reisen mit.«
»Was waren das für Reisen?«
»Kultur.«
»Wirklich?«
»Kulturgüter.«
»Ach.«
»Wenn man die Welt so detailliert von oben betrachtet wie er, findet man auch archäologisch interessante Spuren. Man sieht es oft am Bewuchs, ob etwas darunterliegt, eine Festung oder eine Siedlung.«
»Und das interessierte ihn?«
»Er kaufte die Gelände und verkaufte sie wieder.«
»An den Staat?«
»Sagen wir: an kommerziell Interessierte.«
Sie drängte sich an mich. »Müssen wir über so etwas reden? Dies ist unsere erste gemeinsame Reise.«
»Ich frage mich, an was Frank und Martin denken, wenn sie hören, dass wir nach Italien fliegen.«
In diesem Moment wusste ich, was mich irritierte, wessen Blick ich in einer der hinteren Reihen unter einem breitkrempigen Hut aufgefangen hatte.
»Ich glaube, Marlene, meine Großmutter, ist unter den Passagieren.«
»Was? Ausgerechnet sie? Das glaube ich nicht.«
Scotty lugte über die Lehne und kam zurück. »Sie hat mich angegrinst und kommt nach vorn.«
Marlene setzte sich auf Wachses Platz und berichtete, wie viel Geld notwendig gewesen war, um eine Reisende zum Rücktritt und die Fluggesellschaft dazu zu bewegen, ihr den Platz zu überlassen. Es war sehr viel. Das sei ihr egal, sagte sie, aber sie könnte uns nicht allein lassen, wenn wir uns auf die Spuren des ersten Gordons machten. Sie behauptete, auch Frank und Martin hätten den gleichen Gedanken und würden schnellstens nachkommen. Unseren Einwand, ein anderes Ziel zu haben, ließ sie nicht gelten.
»William hat so viele Anstrengungen auf sich genommen und sogar einen Sohn geopfert, seine Forschungen aber angeblich nie zu Ende geführt. Dort, auf einem Bergzug in Süditalien, ist möglicherweise das größte und wertvollste Geheimnis verborgen.«
»Aber er ist nicht unser Ziel.«
»Er hat mir mal gesagt, er könne dort nicht wieder hin. Das wäre dann für ihn, als würde er auf dem Grab des kleinen Gordon herumtreten. Du weißt doch von ihm?«
Ich nickte. »Frederik hat mir die Geschichte erzählt.«
Sie schnaufte. »Dann erzähle ich sie besser noch einmal in der richtigen Version.« Sie nahm eine bequemere Haltung ein, legte beide Arme über die Lehne. »Unsere drei Söhne waren begierig gewesen, mit William nach Italien zu fahren. Auch ich war damals überzeugt von seinem Vorhaben. Na ja, vielleicht war es
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