Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
grünen Socken. Als er sich setzte, verrutschte seine Krawatte. Das darunterliegende gelbliche Hemd sperrte sich kurz auf, zeigte ein Stück nackter grauer Brust. An seinem Hemd fehlte ein Knopf. Nicht nur seine Kleidung, auch seine Mimik war ganz offene Missachtung unserer Versammlung.
Er blickte niemanden an, stellte sich vor, berichtete leise, als spräche er mit sich selbst.
»Seit vielen Jahren bin ich für William Godin tätig, nicht nur als Anwalt und Notar in Rechtsfragen, sondern auch als Vermögensverwalter und für alltägliche Finanzierungen und Abwicklungen.«
Sein Kopf sank zwischen zwei geöffnete Aktendeckel. »Ich bedauere den Tod William Godins, dem ich immer gern mit voller Kraft zur Verfügung stand und der mir wie ein Freund entgegenkam. Ich verliere mehr als einen Kunden. Obwohl er mir seinen Tod mehrmals angekündigt hatte, kam er doch überraschend, und die Umstände sind, gelinde gesagt, mehr als mysteriös, auch wenn die Polizei dazu neigt, den Fall abzuschließen.« Zum ersten Mal blickte er in die Runde und fixierte mich.
»Ich glaube«, sagte er zu mir gewandt, »wir überschreiten nicht unsere Kompetenz, wenn wir auf unsere Kosten eigene Nachforschungen anstellen. Sollte einer der Erben am Tod schuldig sein, so kann er nach gültiger Rechtslage das Erbe nicht antreten. So viel dazu.« Er machte eine Pause, als erwartete er ein Geständnis aus der versammelten Runde, dann suchte er wieder Schutz zwischen den Aktendeckeln.
»Nun, in seinem nachgelassenen Brief gibt William Godin einige Anordnungen für seinen Nachlass und weist auf das durch uns verwahrte und damit gültige Testament hin, das ich hiermit öffne und verlese, auch wenn nicht alle darin erwähnten Personen unserer rechtzeitig verschickten Einladung gefolgt sind. Sie mögen ihre Gründe haben.«
In diesem Moment betrat Doktor Samson den Konferenzraum und verbeugte sich stumm. Der Anwalt wartete, wobei er die Lippen unter der Nase zusammenzog. Samson murmelte eine Entschuldigung, suchte sich einen Platz, stolperte dabei über Lenas Beine, fing sich aber.
Der Anwalt blätterte in seinen Dokumenten, zog einen großen braunen Umschlag heraus. Er hob und öffnete ihn. Dabei betrachtete er uns gemächlich der Reihe nach. Sein Augenweiß war gelb. Sein Hals hob sich dünn und sehnig aus dem Hemdkragen. Seine Hände waren übersät mit braunen Altersflecken. Mit leiser Stimme las er das Testament vor.
William Godin hatte einer ganzen Reihe von Personen unterschiedlich hohe Summen vermacht. Darunter Scotty, Eva, Samson, Wachse. Er erkannte Helen und mich als seine leiblichen Kinder an. Auch die Schenkung an mich erwähnte er und bat mich, auf jeden weiteren Erbteil zu verzichten, ausgenommen sein Archiv, seine Bibliothek, seine Landkarten, seine Computer samt der dafür entwickelten Software und dem Datenmaterial. Dies vermachte er ausdrücklich mir.
Haupterben waren seine Frau Marlene und seine Kinder Frank, Frederik und Helen.
»Es gibt leider gewisse Formfehler«, sagte der Anwalt und rieb sich dabei die Hände. »Die mit jeweils einer Summe bedachten Personen können das Geld nur erhalten, wenn die anderen Erben zustimmen.«
Martin hob die Hand. »Ich stimme dagegen.«
»Sie sind im Testament nicht erwähnt.«
»Aber ich bin Nachkomme zweiten Grades, also zukünftiger Erbe. Ich werde mir mein Recht vor Gericht holen.«
Der Anwalt lächelte. Er schien sich zu freuen. »Unser Büro kann Sie verständlicherweise mit Ihren Ansprüchen, die möglicherweise eine gewisse Aussicht auf Erfolg haben, nicht vertreten, aber ich nenne Ihnen gern einen Kollegen.«
Ich hob die Hand. »Ich werde die Summen aus meinem Vermögen zahlen.«
»Welches Vermögen?«, rief Martin. »Die Schenkung ist nicht rechtmäßig. Die Klage läuft bereits. Es kann doch wohl nicht sein, dass du das meiste Geld kriegst.«
Frank stimmte ein: »Ich glaube auch, dass Gordon schon mehr als genug hat, sodass über die Computer und so weiter gesprochen werden muss. Ich zumindest melde meinen Anspruch darauf an. Ganz zu schweigen davon, ob die Schenkung anerkannt wird. Ich würde vorschlagen, wir sparen uns den Gerichtsweg und lassen unsere Anwälte direkt darüber verhandeln. Das geht doch, oder?«
Der Anwalt hielt sich die Hände vors Gesicht, lachte in sich hinein. »Wunderbar!«, sagte er. »Ich hatte erwartet, dass Sie ganzen Generationen von Anwälten ein Luxusleben finanzieren würden. Damit Sie alle wissen, wie hoch das Erbe in etwa ist, habe ich
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