Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
genügt nicht. Kaufen Sie sich ein Kilo rohes Rindfleisch, reiben Sie damit intensiv Ihren Körper ab, damit er etwas Menschliches bekommt.«
Sie drehte sich um und ging zum Tresen zurück, lehnte sich mit dem Rücken dagegen, verschränkte die Arme und spreizte leicht ihre Beine, sodass sich der Stoff über den Oberschenkeln straffte. Der Spott bog ihr die Mundwinkel erst nach oben, dann nach unten. Für einen winzigen Moment kam ich in Versuchung, ihr so viel Geld für eine Nacht zu bieten, dass sie ins Schwanken geraten würde.
Ich zerriss den Klebefilm zwischen mir und der Polsterung. Meine Füße hatten ihre Form verloren. Ich wankte zum Ausgang. Mir fiel ein neues Ziel ein, ich musste Onkel Frederik wiedersehen. Es hatte nie einen Grund gegeben, auch zu ihm die Beziehung abzubrechen. Wie wäre es, wenn er mir ein spektakuläres Kunststück beibrächte? Ich käme in die Zeitung. Scotty würde es lesen und zurückkehren. Vielleicht so. Wenigstens konnte ich mir von Frederik das Parfum des Abenteurers ausleihen.
Nein, es ging nicht. Risiken einzugehen, intuitive Lebensweise, das lag mir nicht. Ich war bisher ein Mensch gewesen, der rechnete, berechnete. Scottys Idee, bezahlt worden zu sein, könnte ein Plan von mir sein, um eine Beziehung zu beenden. Ich winkte mit letzter Kraft einem Taxi.
Der Fahrer wollte mit mir über die Sommerhitze reden.
»Hören Sie«, sagte ich, »meine Freundin hat mich gerade ohne Angabe von Gründen und einer Adresse verlassen. Ich spüre zum ersten Mal ein mir bisher unbekanntes Gefühlsleben. Ich kann also nicht übers Wetter reden.«
»Machen Sie sich nichts draus. Mein Rezept ist wie bei einem Hund: Wird er überfahren, überwindet man den Verlust am schnellsten, indem man sich einen neuen, jungen Hund holt.«
11
Mit einer Verzögerung von mehreren Sekunden drang das Bild in mein Bewusstsein. Ich war wie ein Automat weitergelaufen. Die Beine voraus, der Kopf zurück. Eine lächerliche Comicfigur über einem Abgrund. Sie hat noch nicht bemerkt, dass sie keinen Boden mehr unter den Füßen hat.
Der fünfte Tag n. S. Nach Scotty. Alles war schlimmer geworden. Ich sah Dinge, die es nicht mehr gab. Ich blieb stehen, wedelte mir mit der Handfläche Luft ins Gesicht. Frankfurt immer noch im Wüstenklima. Gelegenheit für eine Fata Morgana. Doch das Bild im Kopf blieb: das Schaufenster eines Antiquitätengeschäftes, ganz vorn ein Holzkasten, eines der Foltergeräte meines Großvaters.
Einunddreißig Grad Celsius im Schatten. Ausgetrocknete Augenhöhlen. Die Folge: ein unkonzentrierter Blick. Und schon verwandelte sich eine gewöhnliche Antiquität in ein Monstrum. Nur eine Ähnlichkeit, nur ein Detail an einem Möbelstück, hatte mich glauben lassen, es wäre der alte Kasten. Ich lehnte mich an eine Hausmauer und zwang mich zu gleichmäßigen Atemzügen. Und wenn es doch das Original war? Wenn es das Marterinstrument immer noch gab, musste es vernichtet werden. Und sollte es meinen Großvater immer noch geben, so wurde es Zeit, auch ihn auszulöschen, ihn zu töten.
Leben gegen Leben.
Die Straße verlor jede Farbe, die Häuser die Fassung. Die Sonne teilte sie in eine schwarze und eine weiße Seite. Die Architektur eines expressionistischen Stummfilms. Der Schrecken ins Dekor verschoben. Mir fiel Das Cabinet des Dr. Caligari ein. Der größte Irre ist immer der Direktor der Irrenanstalt.
Die Schatten der Häuser bildeten ein Z. Begierig entdeckte ich seine Form. Ein Buchstabe für meine Sammlung. Dem musste ich nachgehen. Ich besaß bestimmt die größte Schattenbuchstabensammlung der Welt.
Dieses prachtvolle Z duldete keinen Aufschub. Wer wusste, ob es sich noch einmal so zeigen würde? Ich sollte nach Hause gehen, meinen Fotoapparat holen. Ich trat einen Schritt nach vorn, sah die Häuser hinauf. Vielleicht wäre es gut, für das Foto auf ein Dach zu steigen. Mein Genick knackte bei der Bewegung wie nach einem von Großvaters Schlägen.
Mit der Erinnerung an den Holzkasten stand er da, der Großvater, riesig, mit zum Schlag erhobener Hand. Ich duckte mich, wankte einen Schritt rückwärts, bis ich an die Hauswand stieß. Eine Stufe. Eine Nische. Ein Hauseingang als Schutz.
Der Fluchtweg Z machte keinen Sinn. Wenn ich den Buchstaben wollte, genügte es auch, am nächsten Tag zur selben Zeit wieder hier zu sein. Das Z gab es immer bei Sonnenschein. Mal länger, mal kürzer.
»Die Hitze, was?«, sagte eine Stimme hinter mir.
»Ja.« Ich wischte mir mit der Hand über die
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