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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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grauen Kittel her. Noch hatte sie mich nicht bemerkt. Ihr Gang war anders als in meinem Schlafzimmer. Es war nicht nur der Kittel, der ihre Bewegungen kraftlos erscheinen ließ. Die Arme hingen herab, für einen Augenblick torkelte sie, stolperte fast, sodass ich schon zugreifen, ihr Halt bieten wollte.
    Sie folgte zwei Arbeitern, beaufsichtigte den Transport einer durch Holzleisten geschützten Steinplatte. Vor einem Lkw setzten sie ihre Last ab, öffneten die Ladeklappe.
    »Ein weiteres Grab der Liebe«, sagte ich. Die Zeitungen hatten das vorchristliche Doppelgrab so genannt, das bei den Bauarbeiten entdeckt worden war.
    Scotty drehte sich um, war nicht überrascht, mich zu sehen. Sie trug keine Schminke. In meiner Erinnerung waren ihre Augenlider nicht so groß. Müdigkeit vielleicht. Langsam verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln.
    »Ich glaube nicht, dass diese Interpretation haltbar ist«, sagte sie, dehnte die Worte.
    »Die Gebeine einer Frau und die eines Mannes in einem Grab, das ist selten.«
    Sie schüttelte den Kopf, dehnte ihren Körper, als wäre sie aus dem Schlaf erwacht. Sie wurde meiner Scotty wieder etwas ähnlicher. »Möglicherweise hat man sie später dazugelegt. Oder man hat seine überlebende Frau gewaltsam mit hineingesteckt und die Grabplatte geschlossen? Vielleicht wollte sie es so.«
    »Die Liebe ein Verbrechen. Natürlich.«
    »Denk daran, wie es lange Zeit in Indien war. Die Frau folgte dem Mann in den Tod.«
    »Mir wäre es lieber gewesen, sie folgte dem Mann ins Leben.« Sie beobachtete das Verladen der historischen Steine.
    »Leben, welches Leben? Deshalb bist du hier?«
    »Nein. Hast du ein wenig Zeit?«
    Sie zeigte auf die Baustelle. Die Bauarbeiten ruhten.
    »Unsere einstweilige Verfügung, die Baustelle bis zum Ende der archäologischen Untersuchungen stillzulegen, ist abgeschmettert worden. Wir haben versucht, den Bauherrn zu überreden, die Ausgrabungsstelle als eine Art Keller ohne Boden in das Gebäude einzuplanen, sodass wir weitergraben können. Alles, was wir erreichten, waren vier Tage Aufschub, bevor wieder zugeschüttet wird.«
    Ich lachte. »Ausgrabung, Aufschub, zugeschüttet. Klingt wie die Beschreibung meiner Liebe zu dir.«
    »Deine Liebe? Bist du sicher?«
    »Was ist so wichtig an diesen Gräbern?«
    »Was wir darin gefunden haben. Zwei Tafeln mit Zeichen. Möglicherweise eine Schrift, die niemand deuten kann. Möglicherweise ist sie dreidimensional. Wie soll ich das erklären, sozusagen das Gegenteil einer Keilschrift. Sie ist erhaben. Wenn es denn eine Schrift ist. Und die Personen in diesen Gräbern stammen nicht von hier. Sie müssen von weit her gekommen sein. Möglicherweise eine Kultur, die wir noch nicht kennen.«
    »Und das Grab unserer Liebe?«
    »Das gibt es nicht und wird es nie geben.«
    Sie zog mich zur Seite. Arbeiter mit weiteren grob zusammengenagelten Kisten gingen an uns vorbei. Sie presste die Lippen zusammen. Ihr Haar erschien mir dünn. Ich langte danach.
    »Ausgebleicht, überstrapaziert, brüchig vom vielen Färben«, sagte sie und hielt meine Hand fest. Sie befürchtete wohl, dass ich sie umarmen würde.
    »Eine sinnlose Tat. Du hättest die rote Farbe behalten können. Ich habe dich auch so gefunden.«
    Sie gab meine Hand frei, legte sie zurück an die Seite meines Körpers. »Und du wirst mich hoffentlich schnell wieder verlassen. Warum bist du gekommen? Erzähl mir nichts von Liebe!« Es war nicht nur das Haar, das sie veränderte. Ihre Haut schien grau, aus Plastik, die Poren wie mit Stecknadeln gebohrt.
    »Du bist anders als das, was ich in dir sah. Das habe ich schon begriffen.«
    Sie nickte.
    »Ich wollte dich nur warnen. Es gibt Leute, die wissen, was du tust.«
    »Es steht jeden Tag in der Zeitung.«
    »Ich meine das, was nicht in der Zeitung steht.«
    »Bist du gekommen, um mich zu erpressen? Auf Wiedersehen.« Sie kniff die Augen zusammen, klopfte den Staub von ihrem Kittel und ging an mir vorbei. Ich wollte ihr nach, da drehte sie sich um.
    »Alles, was nicht über mich in der Zeitung steht, ist eine Folge von Gemeinheiten, Raub, Erpressung, die einer Torheit folgten. Vielleicht erzähle ich dir die ganze Geschichte eines Tages.«
    »Wir sehen uns also wieder?«
    »Ich denke, ja.«
    »Wann?«
    Sie lachte laut. »Ich weiß es nicht.«
    »Was bin ich in deiner Geschichte?«
    »Sagen wir, eine schöne Erinnerung?« Sie legte den Kopf schräg. »Oder möchtest du lieber das Lamm im Rachen des Löwen sein?«
    Einer der Arbeiter

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