Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
als er Helen überreden wollte ...«
»Mutter, bitte.«
»Sie sollte siamesische Zwillinge gebären.« Sie lachte. »Gesunde siamesische Zwillinge. Das muss man sich mal vorstellen. Er braucht sie für seine Forschungsarbeiten.«
»Forschungsarbeiten? Was macht er?«
»Verhaltensforschung. Er hat ein großes Labor, in dem Versuche mit Menschen gemacht und auch gefilmt werden. Alles Freiwillige natürlich. Es kommt niemand wirklich zu Schaden. Er testet an ihnen, wie viel sie ertragen, zum Beispiel an Schmerz, Demütigung und all solchen Dingen. Grenzerfahrungen. Er findet immer welche, die mitmachen, und er bezahlt sie gut. Er hat laufend Aufträge aus der Industrie. Natürlich sehe ich ein, dass solche Forschungen notwendig sind, aber doch nicht mit der eigenen Familie.«
»Lebt ihr wieder zusammen?«
»Nur offiziell. Praktisch nicht.«
»Und Großvater? Wo ist Großvater?«
»Ich weiß es nicht. Er ruft ab und zu an. Wer weiß, von welchem Planeten. Sein Geld kommt regelmäßig. Ich nehme fast an, dass er zurückgegangen ist, obwohl es ihnen nicht erlaubt ist, wenn sie einmal auf der Erde waren.«
»Was bedeutet das?«
»Er ist ein Odinzeher, wusstest du das nicht? Du hättest es schon an seinem Namen merken können. Godin! Ich bitte dich. Godin! Wer heißt schon so.«
Wir hatten draußen vor der Stadt ein großes Möbelhaus erreicht. Helen kurvte um die Parkplätze, bis sie auf einer größeren freien Fläche eine kleine Gruppe silberfarben gekleideter Menschen mit ebensolchen Koffern entdeckte.
Zora lehnte sich aus dem Fenster und winkte heftig. Sie sah zur Uhr. »Ihr müsst schnell wieder weg, sonst werdet ihr verstrahlt. Ihr tragt kein Silber.«
Ich stieg aus, holte ihren Koffer, während sie Helen umarmte und ihr zahlreiche Vorschriften machte. Mir wollte sie nur winken, aber dann kam sie doch zu mir.
»Dein Horoskop, hat es sich erfüllt?«
Ich runzelte die Stirn. Ich erinnerte mich nicht.
»Du weißt doch, diese großen Berge. Ich hab sie immer gesehen. Du musst über sie hinweg. Das ist lebensgefährlich. Wenn du es überstehst, wird eine Frau versuchen, dir ein Auge auszureißen. Es sei denn, du heiratest sie. Ich habe es dir prophezeit.«
»Nein, ist noch nicht eingetreten.«
»Dann bist du gewarnt. Pass auf dich auf.«
Sie küsste mich auf die Wange und lief auf die Gruppe zu. Der Kreis der silbernen Menschen nahm sie auf. Sie lachten, umarmten sich, hüpften, tanzten und sahen immer wieder nach oben.
»Einsteigen«, sagte Helen. »Wir müssen weg. Wir haben keinen Silberschutz.« Sie stieß die Luft aus und wischte sich über die Stirn.
»Was geschieht mit denen?« Ich setzte mich auf den Beifahrersitz.
»Das Übliche. Eine fliegende Untertasse landet und nimmt sie mit. Was haben Sie erwartet?«
»Und wie ist das, Tochter eines Außerirdischen zu sein?«, fragte ich und grinste sie an. Sie startete den Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen eine Kurve auf dem Platz. Ich hielt mich am Armaturenbrett fest. Sie fuhr eine entgegengesetzte Kurve.
»Wenn wir uns nicht beeilen, werden wir verstrahlt. Arme und Beine fallen uns ab, und wir werden wehrlose Opfer von Martin Godin. Versuche zur Grenzerfahrung macht er, so kann man das auch nennen. Dieses verdammte Schwein!«
»Weiß Zora nicht, was er wirklich macht?«
Sie presste die Lippen aufeinander und gab Vollgas.
»Und wessen Tochter bist du nun?«
Sie antwortete nicht, fuhr, ohne abzubremsen, über eine Bodenwelle. Ich griff nach dem Sicherheitsgurt, zog ihn mit Mühe über meinen Körper.
»William Godin, wenn der ...« Ich stockte.
Sie nahm die Kurve, sodass der Wagen hinten ausbrach. Wir kamen quer auf der Straße zum Stehen. Sie blickte mich vorwurfsvoll an.
Ich hob die Hände. »Schon gut. Ich sage nichts mehr.«
31
Sie fuhr konzentriert, schweigend, viel zu schnell und in letzter Sekunde über Kreuzungen, deren Ampeln gerade auf Rot schalteten. Hinter ihr hupte der Querverkehr. Ihre Arme und Beine kamen als einzig bewegliche Teile aus ihrem Kleid. Stämmige Maschinenteile. Sie umklammerte das Lenkrad mit weißen, blutleeren Fingern, bediente mit kräftigen Stößen die Pedale, als wäre der Wagen ein störrisches Pferd, das bei der kleinsten Nachlässigkeit durchgehen würde. Meine Fragen kribbelten mir in der Brust wie eine Lungenkrankheit.
Ich hustete und fluchte.
Sie zuckte zusammen.
»Du bist also die Tochter meines Großvaters. Dann wäre ich dein Cousin, oder bin ich der Onkel? Großonkel? Ich kann nicht mehr
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