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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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Baseballcaps auf, mit dem Schirm nach hinten. Jedes Kind aus dem Saal, das ihnen half, erhielt auch ein Cap, zur Erinnerung. Allerdings bloß aus Karton. Ganz viele wollten mitmachen, aber nicht alle durften, weil die Mama oder Oma es nicht erlaubten. Die hatten nämlich Angst, als sie sahen, wie die Kinder da in große schwarze Kästen krabbelten. Die Zauberer stießen dann Degen in die Kästen oder zersägten sie mit Kreissägen oder zündeten sie an. Den Kindern gefiel natürlich gerade das, und deshalb dauerte die erste Nummer auch elf Minuten länger.
    Alle wollten in die Manege, weil dich da alle sehen und die Scheinwerfer so weiße Kreise machen. Die großen und mutigen Kinder sind auch wirklich alle dahin gelaufen. Aber manche hatten auch Angst. Denen wurden die Beine ganz kalt, und der Po tat ihnen auch weh, nachdem sie die ganze Zeit nur dagesessen hatten. Die Mamas fanden das nicht gut und guckten böse. Alle Kinder hielten den Atem an, als die runde Kreissäge den Kasten zersägte, wo drei Jungen drin waren. Und alle freuten sich, als die Jungen wieder gesund und munter heraushüpften. Allerdings nur zwei. Ob der dritte aus einem anderen Kasten kam? Oder ob er gleich zurück in den Saal zu seiner Mama gerannt war?
    Das Orchester spielte ganz laut, und jemand trommelte wild auf den weißen Trommeln. Es war ein richtiges Orchester, und am allerwichtigsten waren die riesigen gelben Becken. Die Musiker trugen alle glitzernde Fracks. Damit das Mädchen sie angucken konnte, musste es sich aufrichten und den Hals ganz lang machen. Deshalb sah es auch nichts von dem, was in der Manege passierte.
    Am Rand der Manege stand eine Frau mit einem ganz hässlichen blauen Kleid, die etwas sagte und die Lippen seltsam verzog.
    Irgendwann sprang der Direktor in die Manege, ein langer Mann mit Schnauzbart und weißem Puder im Gesicht. Am Anfang der Vorstellung hatte er alles noch ganz normal erklärt. Aber jetzt hatte er Angst, das sah man. Richtig dolle Angst, und auch das Mädchen mit der weißen Schleife erschrak, und ihr Nachbar, ein kleiner Junge in kurzen Samthosen: Der fing sogar an zu weinen. Der Direktor rief etwas Lustiges. Das Mädchen verstand jedoch sofort, dass er eigentlich nicht zu Späßen aufgelegt war.
    Die Frau in dem hässlichen Kleid kletterte so ungeschickt über die Absperrung, dass ihr Kleid hochrutschte. Sie guckte in die Kästen der Zauberer, packte die beiden Künstler bei den Schultern, und schließlich verstand das Mädchen auch, was sie sagte: »Wo ist mein Kind? Wo ist Pawlik? Hört mit diesem Unfug auf! Mein Kind ist nierenkrank! Es darf nicht … Gebt mir sofort mein Kind zurück!«
    Am Eingang zur Manege drängten sich inzwischen mehrere Frauen und ein verzweifelter großer Junge, der ältere Bruder von einem kleinen Kind. Alle rannten zum Direktor, der jedoch nicht mit ihnen redete, sondern hinter einem Samtvorhang verschwand.
    Dann ging das Licht aus.
    Jemand lachte, jemand klatschte, jemand pfiff. Der erschrockene Sitznachbar des Mädchens schrie los, seine Mama nahm ihn auf den Arm und schimpfte ganz laut, weil die Vorstellung so blöd war. Der Papa eines anderen Kindes, der gleich hinter dem Mädchen saß, lachte seinen kleinen Sohn aus und sagte, er soll keine Angst haben, und das nächste Mal würde man den Feigling gar nicht in den Zirkus reinlassen.
    Plötzlich schrie in der Manege jemand. Dann schrien auch die Leute im Publikum, alle ganz verschieden. Auch das Mädchen wollte schreien, aber ihre Mama hielt sie fest umschlungen.
    Das Licht ging an. Dann wieder aus. Dann wieder an, wobei es flackerte, wie wenn im Fernsehen ein Raumschiffunglück gezeigt wird.
    In der Manege stand ein Käfig. Seine Tür war auf. Ein gestreifter kleiner Tiger stand auf einem der beiden Zauberkünstler. Seine Schnauze war rot. Neben ihm rannte die Frau herum, die die ganze Zeit nach Pawlik rief.
    Dann kamen noch zwei Tiger. Und ein bildschöner Löwe. Das Mädchen hatte überhaupt keine Angst, doch kaum hatte sie ihre Mama angesehen, spürte sie, wie der Sitz unter ihr feucht wurde.
    Als Nächstes sprang ein Mann mit einem Schlauch in die Mange, wie um Blumen zu gießen. Stattdessen bespritzte er aber den Tiger, der auf dem Zauberer stand. Der andere Tiger sprang den Mann an. In dem Moment hob der Direktor den Arm, und es knallte, erst einmal, dann noch einmal. Das Mädchen sah, wie der Direktor mit einer Pistole schoss, aber niemanden traf.
    Schließlich rannten alle schnell zum Ausgang; jemand wurde

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