Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
Vom Netzwerk:
Namen nennen. Und falls er übertrieb, dann nur geringfügig. Warum fürchtete er so um seinen Stuhl, wenn das Ende der Welt nahte? Wieso war er bereit, ihn mit Händen und Füßen zu verteidigen?
    »Wollen Sie mir nicht auch eine Zigarette anbieten, Herr Großinquisitor?«
    Der Herzog rauchte aber nicht. Das wusste jedes Kind. Der Herzog war sogar schon einmal in der TV-Sendung Deine Gesundheit aufgetreten, wenn auch vor zehn Jahren, als sich der schlanke Körper Seiner Durchlaucht noch in Badehose am Rand eines Schwimmbeckens hatte sehen lassen können.
    Klawdi dachte an Ywha. Warum waren sie plötzlich alle so scharf auf Zigaretten?
    Dem Herzog konnte er die Zigarette nicht so einfach abschlagen wie ihr. Er erhob sich und hielt ihm die Schachtel hin. Allein an der Art, wie der Herzog danach griff, wie er nach dem Feuerzeug fasste, wusste Klawdi, dass Seine Durchlaucht vor langer Zeit gequalmt hatte wie ein Schlot. Die Hände erinnerten sich noch an alle Gesten. So viel zum Thema Deine Gesundheit.
    »Ich habe mir Ihren Bericht angesehen, Herr Großinquisitor.«
    Klawdi zuckte die Achseln, als wolle er sagen: Wir tun, was wir können.
    »Ehrlich gesagt, die Lage in der Hauptstadt ist … hm …«
    Ein guter Anfang für ein Gespräch, dachte Klawdi müde. Schlaffe, vielfach wiedergekäute Worte, hinter denen jedoch etwas Gewichtiges steckt, das, was den Herzog eigentlich in dieses Büro mit den Geständniszeichen getrieben hat.
    »Ich habe Grund zu der Annahme, die Lage werde sich bald noch weiter verschlechtern«, sagte Klawdi, während er seine Asche abstreifte. »Kein vernünftig denkender Inquisitor dürfte heute eine optimistische Prognose wagen. Selbst wenn er das nicht so offen zugeben würde wie ich, Eure Durchlaucht.«
    Der Herzog nahm einen so tiefen Zug, dass der Rauch im Grunde bis in seine unnatürlich kleinen, fast weiblichen Füße sickern musste. Und jetzt wollen wir doch mal hören, weshalb du hier bist, dachte Klawdi mit einem Anflug von Schadenfreude. Jetzt habe ich dir eine Tonlage für unser Gespräch vorgegeben, mit der du, meine goldige Gans, vermutlich nicht gerechnet hast. Denn ich werde mich nicht auf deine Spielchen einlassen, ich bin dir zwar ergeben, aber ich bin nicht dein Eigentum. Jetzt versuch doch mal, mir an den Wagen zu fahren!
    Der Herzog hüllte sich in Schweigen. Die lange Zigarette in seinen Fingern schrumpfte langsam dahin. Die tief liegenden Augen blickten zu Boden. Mit einer gewissen Nervosität gestand sich Klawdi ein, dass ihm immer noch unklar war, aus welchem Ärmel der Herzog den Trumpf ziehen würde, den er gegen ihn auszuspielen gedachte. Falls er überhaupt einen Trumpf dabeihatte – und nicht eine Handgranate.
    »In meinem Bericht«, bemerkte Klawdi zögernd, »sind einige Überlegungen ausgelassen, die ich dem Papier nicht anvertrauen wollte. Ich bin gern bereit, sie Ihnen jetzt darzulegen. Aber zunächst müsste ich wohl wissen, was mir die Ehre Ihres Besuchs verschafft.«
    Das Schweigen des Herzogs wurde unerträglich. Das war keine Pause mehr, keine erzieherische Maßnahme, der er die Beamten aller Ränge unterzog – das war ein Urteil. Was könnte er nach zehn Minuten eines solchen Schweigens noch sagen?
    Klawdi seufzte. Er zog die nächste Zigarette aus der Schachtel, besann sich dann aber anders und legte sie beiseite. Er stützte das Kinn auf die ineinander verschränkten Finger. Gut, er konnte warten.
    »Vor einer halben Stunde wurde meine Rede an die Nation aufgezeichnet«, setzte der Herzog stockend an. Etwas in seiner Stimme ließ Klawdi zusammenfahren. »Eine trostvolle Ansprache, mit huldvollem Lächeln und in sanftem Ton. Ich kann von Glück sagen, dass ich dergleichen von klein auf gelernt habe. Ich habe so getan, als ob nichts im Schwange sei. Mir ist das höchst überzeugend gelungen, da werden mir viele glauben.« Er musste sich überwinden, um den Blick vom Boden zu lösen. Seine hängenden Schultern sackten noch weiter ab. »Klawdi … uns verbindet keine Freundschaft. Das, was ich jetzt sage … ist nicht für die Presse bestimmt. Das ist nur für Ihre Ohren. Ich fühle mich wie der Kapitän auf einem Schiff, das, begleitet von Orchestermusik, sinkt, während ich sowohl der Mannschaft als auch den Passagieren versichere, alles laufe nach Plan und wir hätten die Situation voll im Griff.« Er seufzte. »Bereits … dreimal hat man mich angerufen. Die Staatsoberhäupter unserer Nachbarländer, was kein Wunder ist. Sie stehen vor denselben

Weitere Kostenlose Bücher