Das Jahrhundert der Hexen: Roman
ihrer enormen Empathie eine durch und durch gewöhnliche Hexe werden, schwach, mit einem Brunnen von geringem Wert. Deshalb versuche ich, ihre Initiation um jeden Fall zu verhindern. Davon abgesehen haben weder Gefühle noch die Liebe – sofern diese nicht der Phantasie Ihrer Quellen entspränge, sondern tatsächlich existierte –, geschweige denn die leidenschaftliche Liebe eines älteren Mannes zu einer langbeinigen jungen Frau jemals auch nur den geringsten Einfluss auf mein Verhalten gehabt und werden es auch in Zukunft nicht haben. Dessen kann ich Sie ruhigen Gewissens versichern. Genügt das, oder haben Sie noch Fragen?«
»Ich danke Ihnen«, erwiderte der Herzog stockend. Nach einer Pause wiederholte er: »Ich danke Ihnen. Ihre Geliebten sind Ihre persönliche Angelegenheit, Klawdi. Ihre Arbeitsmethoden ebenfalls. Für Ihre Offenheit … bin ich Ihnen zu Dank verpflichtet. Können Sie mir jetzt in knappen Worten umreißen, was hier eigentlich vor sich geht?«
Klawdi seufzte.
Gegen die Lehne seines Stuhls geschmiegt, den Nacken bequem auf das Lederkissen gebettet, berichtete er; während er fünfzehn Minuten am Stück redete, kehrte in die Augen des Herzogs etwas vom typischen Glanz und der Entschlossenheit zurück. Klawdi hatte dagegen den Eindruck, zwei Stahlschrauben bohrten sich ihm in den Schädel. Schließlich verstummte er und holte tief Luft.
»Ich danke Ihnen für diese Lektion in alternativer Geschichte«, murmelte der Herzog tonlos. »Fünf aufeinander folgende Jahre ohne Ernte, dafür Pest und Hunger – stimmt, dergleichen wird normalerweise den Hexen zugeschrieben. Aber stehen Ihrer Ansicht nach hinter jenem Aufstand, zu dem es vor vierhundert Jahren gekommen ist, hinter Hochverrat und den blutigen Auseinandersetzungen unter den Erben des Herzogsthrons, auch die Hexen?«
»Alle Sünden der Menschen werden den Hexen zugeschrieben«, erklärte Klawdi mit geschlossenen Augen. »Für mich sind die Hexen jedoch wie Verwandte, Eure Durchlaucht. Nein, verziehen Sie nicht vorschnell das Gesicht. Vermutlich hasst sie kein Mensch so sehr wie ich. Aber sie sind mir nicht fremd. Das ist mein Beruf. Deshalb neige ich eher dazu, die Hexen zu verteidigen und stattdessen die überheblichen Lehnsfürsten anzuklagen, denn Letztere gehen über Leichen, um ihre Gier zu befriedigen, während Hexen … bloß ihrer Natur folgen.«
Klawdi atmete durch. Der Herzog behielt ihn fest im Blick. Auf dem Grund der tiefen Augen stand Staunen geschrieben.
»Die Hexen folgen ihrer Natur wie niemand sonst. Es sind vierhundert Jahre vergangen. Jetzt ist eine neue Mutterhexe gekommen.«
Klawdi hatte den Eindruck, die letzten Worte wollten sich nicht verziehen, wie es menschlichen Lauten geziemt, sondern blieben aus unerfindlichen Gründen an der Decke hängen. Zusammen mit den Schwaden von Tabakqualm. Genauso musste in einem Gerichtssaal ein überraschend hartes Urteil an der Decke hängen.
Der Herzog schien das ebenfalls zu spüren. Er schwieg. Eine seiner hängenden Wangen zuckte nervös. »Zum Teufel mit diesen Humanisten! Die haben uns das alles eingebrockt! Mit ihrer dämlichen Menschenliebe … besser gesagt mit ihrer dämlichen Hexenliebe!«
»In der Geschichte der Menschheit«, erklärte Klawdi und sah den Herzog dabei eindringlich an, »gab es immer Zeiten und Staaten, die die Null-Variante gepredigt haben, Eure Durchlaucht. Eine Welt ohne Hexen.«
Der Herzog antwortete nicht.
»Sie wissen genau, was das heißt, Eure Durchlaucht. Es würde keineswegs weniger Hexen geben. Dafür würden aber die Null-Länder zu einer Art Kriegsfabrik mutieren. Alles wäre gleichgeschaltet, ein eisernes Regime würde herrschen – und die ständige Angst vor diesem Regime. In der Folge würde noch mehr Blut fließen, es käme zu einer Revolte … Das wissen Sie besser als ich.«
»Und?« Der Herzog senkte die Lider.
»Es hilft nichts, sich vorzuwerfen … zu humanistisch zu sein. Wir haben den einzig möglichen Weg eingeschlagen. Jetzt müssen wir eine Möglichkeit finden, die Mutterhexe auszuschalten.«
»Ist sie in unserem Land?«, hakte der Herzog sofort nach. »Wissen wir das mit Sicherheit?«
»Traditionellerweise stattet sie uns ihren Besuch ab«, meinte Klawdi lachend. »Zum Gedenken an Atryk Ol …«
Wieder lastete das Schweigen auf ihnen. Ein langes, endlos langes Schweigen.
»Starsh, ist Ihnen bekannt, wie Ihr … Vorgänger seinen Triumph erzielt hat?«
Klawdi zögerte. Ja zu sagen hieße zu lügen. Nein zu
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