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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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jetzt gelassen bleiben doch gerade das – gelassen sein – kann ich nicht.
    Draußen regnete es. Wie in jener Nacht, als Ywha hier vor der Tür gesessen hatte.
    Klawdi! Was soll ich bloß tun?
    Die Stadt schwieg.

11
    Spät nachts durchbrach ihr Planwagen die Absperrung. Die Panik, das weiße Licht der Scheinwerfer und das Rattern der Maschinengewehre ließen sie rasch hinter sich. Von einer unsichtbaren Kraft beschirmt, raste der Wagen über die tischdeckenglatte Straße; die Plane hatte fünf runde Einschusslöcher davongetragen, mehr nicht. Allerdings hatte es einen Augenblick lang so ausgesehen, als seien alle tot, erschossen und tot …
    Die Frauen hockten am Boden des Lasters, Rücken und Schultern aneinandergepresst. Sie hatten Angst.
    Mehrmals traf der Wagen unterwegs auf Patrouillen. Die unbekannte Kraft schützte den Planwagen und seine Passagiere jedoch nach wie vor, weshalb das Auto seinen Weg fortsetzen und in einen holprigen, aufgerissenen Pfad einbiegen konnte, wo die Frauen im Wagen einander und ihr Gepäck festhalten mussten.
    Irgendwann endete die schmerzliche Fahrt. Zweige kratzten über die Plane; ein Eisentor quietschte, erst einmal, dann noch einmal, als es wieder geschlossen wurde. Die Frauen wechselten Blicke – konnten sich in der Dunkelheit aber nicht erkennen.
    »Ihr dürft jetzt aussteigen!«
    Von draußen lockte nichts außer Regen und Finsternis. Und eine einzelne Taschenlampe, die jemand in Händen hielt.
    »Das hier ist die Endstation, Schwestern! Der Weg eurer Qualen ist zu unserer Freude nun zu Ende.«
    Die Frauen kletterten schweigend aus dem Wagen, nach den Eisenstufen tastend, von denen aus sie in den Dreck sprangen. Diejenige, die sie begrüßt hatte, hielt die Tür zu einem niedrigen Raum auf, der zur Hälfte eingekellert war. »Stärkt euch und wartet ab. Geduld, Schwestern. Habt keine Angst, ihr seid bereits am Ziel.«
    Ein Eisenofen funkelte rot; drei von den vier gerade erst eingetroffenen Frauen kannten ein solches Stück nur von Bildern. Auf dem Tisch in der Ecke standen eine riesige Terrine, aus der ein Löffel herauslugte, und ein Turm aus Blechtellern. Eine nackte Glühbirne unter der Decke zwang die an die Dunkelheit gewöhnten Augen zum Blinzeln. In diesem äußerst schlichten und insofern offenen Licht nahmen die Frauen aus dem Laster endlich Gestalt an.
    Vermutlich wären sie sich in dem Leben, wie sie es bisher geführt hatten, nie begegnet. Eine Dame in mittleren Jahren, bei Weitem nicht arm, mit dauergewelltem und vor einem Monat gefärbtem Haar, die eine schlammbespritzte Lederjacke trug und einen bauchigen karierten Koffer in der feingliedrigen Hand hielt. Eine Schülerin im ausgeleierten Jogginganzug, mit vor Müdigkeit roten, bösen Augen und einem grünen Wanderrucksack voller rotzfrecher Stickers. Eine spitzgesichtige Frau in einem altmodischen Kleid, mit rauen, dunklen, fast männlichen Händen. Und noch eine, jung, todmüde, rothaarig.
    Eine Zeit lang standen alle vier hilflos mitten in dem kleinen Raum, beäugten mal den Ofen, mal die verschlossene Tür, mal das durchgesessene Sofa an der gegenüberliegenden Wand. Irgendwann ging die Dame mit dem Koffer zum Sofa, wählte einen Platz möglichst nahe am Ofen, setzte sich vorsichtig und streckte die Beine in den schmutzigen Designerschuhen aus.
    Die Schülerin schluchzte. Sie stellte ihren Rucksack an der Wand ab, ließ sich auf ihn nieder und zog die Knie zum Kinn, was sie wie ein trauriges, zartes Vögelchen aussehen ließ.
    Ywha hätte sich am liebsten hingelegt. Doch der Boden war kalt und ungemütlich, und auf dem Sofa gab es nicht genügend Platz. So kauerte sie sich am äußersten Sofarand hin, damit noch Platz für die alte Frau blieb. Die machte jedoch keine Anstalten, sich hinzusetzen, sondern trat an den Tisch heran, füllte sich mit gemessenen Gesten dampfende Brühe in einen Blechteller, roch daran, nickte zufrieden, zog einen Aluminiumlöffel aus ihrem Bündel und fing an, die Suppe mit Kennermiene zu löffeln.
    Ywha fröstelte.
    Sie hatten sie in der Dämmerung aufgelesen, nachdem bereits zwei Panikattacken hinter ihr lagen. Die Stadt war voll von Inquisitoren gewesen. Mit jeder Zelle hatte Ywha ihre Nähe gespürt, mit jedem Zentimeter ihrer geplagten, dünnen Haut. Menschen waren geflohen, zu Fuß und im Auto, die Kinder auf den Schultern, mit Koffern und Rucksäcken; sie hatten ohnehin schon volle Autos angehalten und sich in Busse gezwängt. Im Zentrum Wyshnas, das seit vielen Jahren

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