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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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seine lang verstorbene Mutter. Wie auch immer, egal, denn du nimmst die Menschen an deiner Seite nicht wahr. Du wackelst mit den Ohren, während das Ziel deines Lebens hundserbärmlich um dich herumwuselt und versucht, in dein Blickfeld zu geraten. Immer hast du zu viel zu tun. Mal die Prüfungen in der Schule, mal die neuerliche Ankunft der Mutterhexe … Und wenn es zu spät ist, heulst und jammerst du! Als ob das etwas ändern würde! Immer wirst du dann erst etwas bemerken, wenn es nicht mehr da ist.
    Er ließ die krampfhaft geballte Faust auf den Tisch niederkrachen. Der Redner, Foma aus Altyza, schien von der ungehaltenen Geste peinlich berührt. Dieser Dummkopf hielt das für eine Reaktion des Großinquisitors auf eine weitere Anschuldigung! Lächelnd bat Klawdi um Entschuldigung. Ach, mein guter Foma, wenn doch wirklich alles so einfach wäre! Aber wenn du wüsstest, worum es hier wirklich geht …
    Was war er nur für ein Narr. Da hatte er einen Schatz gefunden, ihn lange mit sich herumgetragen, zwischen Münzen und Glasperlen versteckt – und am Ende verloren. Aus einem Loch in seiner Tasche war er ihm gefallen, und egal, wie sehr er ihn jetzt suchte, egal, ob er sich in den Hintern biss, er fand ihn nicht wieder.
    Wer von den hier Anwesenden wohl von seiner letzten Anordnung wusste? Alle Einsatzkommandos, alle Fahnder und Patrouillen hatten den Befehl erhalten, die festgenommenen rothaarigen Hexen dem Großinquisitor persönlich zu übergeben. Begründung: Die Mutterhexe musste rothaarig sein.
    Wie er sich über diesen Schachzug gefreut hatte. Niemand hatte auch nur Verdacht geschöpft. Jetzt schien ihm das Ganze allerdings naiv und sinnlos. Wer würde schon mitten in einem grausamen Krieg eine aktive Hexe in den Inquisitionspalast bringen? Die tötete man besser auf der Stelle. Vor allem, falls es sich um die Mutterhexe handelte. Warum sollte man die noch irgendwo hinschleppen? Die musste man ausschalten, sobald man sie schnappte.
    Heute Morgen hatte man eine Hexe gebracht, deren Hände mit Holzblöcken gefesselt waren. Ihre Haare waren gefärbt, rosa und purpurrot. Obwohl ihr Brunnen vergessenswert war, stach sie durch eine kolossale Bösartigkeit hervor. Als dann die Strafe an ihr vollstreckt worden war, hatte sie den Tod aller prophezeit, das Ende der Welt und die Alleinherrschaft der Mutterhexe.
    Erst jetzt bemerkte Klawdi die Stille, die im Raum hing. Und zwar schon seit ein paar Minuten. Außerdem ruhten alle Blicke auf ihm. Triumphierende Blicke. Verwirrte. Mitleidige. Fragende Blicke. Anklagende. Nur Wikol aus Bernst sah ihn gelangweilt an.
    Was erwarteten sie von ihm? Ach ja, sicher, seinen Rücktritt. Ihrem Szenario zufolge musste er sich jetzt erheben und mit tonloser Stimme die Floskel herunterleiern, mit der er seinen Abschied erklärte. Er musste sein Unvermögen, die Aufgaben des Großinquisitors zukünftig zu erfüllen, eingestehen und als Gründe … Ach was, die Gründe spielten keine Rolle. Da konnte er ruhig das allgemeine Chaos und eine entflohene rothaarige Hexe anführen.
    Er erhob sich.
    Zum ersten Mal sah ihm auch Fedora in die Augen. Traurig und tadelnd. Wie konntest du nur? Nein, noch viel pathetischer, mit einem provozierenden Unterton: Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?!
    »Meine Herrschaften! Ich habe mir Ihre Berichte aufmerksam angehört.«
    Ein Flüstern ging durch den Raum. Wenn er die Rücktrittsforderungen als »Berichte« bezeichnete, musste er entweder sturzbetrunken sein – oder ein Ass im Ärmel haben.
    »Sämtliche mit der Ankunft der Mutterhexe verbundenen Ereignisse haben letztlich genau diesen Verlauf zu nehmen. Noch kürzlich verständigte ich mich eben darüber mit Seiner Durchlaucht, dem Herzog.«
    Die Kuratoren flüsterten abermals miteinander, wechselten hinter dem Rücken eines Dritten Blicke. Was redete Starsh da? Als ob nicht alle wüssten, dass ihn der Herzog nicht ausstehen konnte!
    »Seine Durchlaucht hat den von mir vorgestellten Handlungsplan uneingeschränkt gebilligt. Weshalb auch dieses erstaunliche Stück Papier unterzeichnet wurde.«
    Mit der Geste eines Zauberers zog er ein Blatt hervor. Eine Kopie. Das Original lag längst sicher im Safe. Womöglich ließe es sich einer der temperamentvollen Herren Kuratoren sonst noch einfallen, ihm eine bühnenreife Szene zu machen und dabei das kostbare Papier zu zerreißen.
    »Mit Ihrer Erlaubnis werde ich es jetzt vorlesen. ›Wir, der Herzog der Stadt, Stefanij VII., billigen den Generalplan,

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