Das Jahrhundert der Hexen: Roman
wie er Uns vom Herrn Großinquisitor der Stadt Wyshna – Klawdi aus dem Hause Starsh – vorgelegt worden ist, ohne jeden Vorbehalt. Mit eigenhändiger Unterschrift bekräftigen Wir ferner einen Vertrag zur Neubesetzung bestimmter Stellen innerhalb der Inquisition, genauer zur Entbindung des Großinquisitors von seinen Pflichten, sobald dieser die von den Hexen ausgehende Aggression erfolgreich unterbunden hat.‹ Es folgen die Unterschriften. Stefanij VII., Klawdi Starsh. Und das Staatssiegel.«
Er verstummte. Und er sah nicht auf, sondern gab seinen Zuhörern die Gelegenheit, die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. Er verzichtete auf das Recht der Sieger, sich an ihrer Erschütterung zu weiden. An ihrer Verwirrung, ihrer hilflosen Empörung, ihrer Schwäche und Angst.
Zu allen Zeiten hatte die Regierung versucht, sich die Inquisition Untertan zu machen. Und die Großinquisitoren hatten sich diesem Wunsch zu allen Zeiten widersetzt. Klawdi Starsh hatte nun eins draufgesetzt und die Regierung zu seinem Handlanger gemacht.
Damit hatte er sich allerdings auch selbst die Pistole auf die Brust gesetzt. Entweder er gewann – oder er wurde vor Gericht gestellt. Entweder er besiegte die Mutterhexe oder …
Er blickte auf.
Foma aus Altyza leuchtete violett. Sein Gesicht hatte eine derart ungesunde Farbe angenommen, dass Klawdi sich fragte, ob ihn der Schlag getroffen hatte. Menschen mit seiner Konstitution sind ungemein anfällig.
»Das hast du ja schön eingefädelt«, erklärte Wikol, die eiserne Vogelscheuche aus Bernst, volltönend und absolut leidenschaftslos. »Das war's dann, meine Herren, wir haben etwas auf den Deckel bekommen, sollten uns jetzt die Krokodilstränen abwischen und an unsere Arbeit gehen. Also dann, fangen wir die Mutterhexe, verflucht noch mal!«
Foma hüllte sich in Schweigen. Lautlos stülpte er die Lippen vor.
»Damit kommen Sie nicht durch, Starsh«, warnte ihn War Tanas, der Kurator aus Rydna. »Sie haben die Inquisition verraten, nur um Ihren eigenen Hintern zu retten!«
Klawdi riss den Kopf hoch.
Nicht, weil ihm die Worte zusetzten, sondern weil er die in ihm aufgestaute Wut, die Unruhe und den Schmerz am liebsten herausspeien wollte. Und zwar nicht auf den Kopf seines Referenten – das brächte nichts und wäre nur gemein –, sondern mit etwas mehr Nutzen, schön und treffsicher.
»Mein Hintern lässt Ihrem schwieligen Gesäß einen Gruß ausrichten. Die Inquisition ist mir momentan scheißegal, das nur zu Ihrer Information. Soll sie doch verrecken, die Inquisition – dann aber bitte schön zusammen mit der Mutterhexe. Habe ich also die Inquisition verraten. Auch gut! Verzichten Sie von mir aus darauf, bei meiner Beerdigung zu erscheinen. Doch bevor ich ins Gras beiße, möchte ich noch die Mutterhexe töten, und Ihre Postenschiebereien werden mich nicht daran hindern, selbst wenn Sie sich auf den Kopf stellen. Ihr Ehrgeiz interessiert mich einen Dreck. Seien Sie also so gut und machen Sie sich an die Arbeit, das heißt: Schaufeln Sie die Scheiße weg, und zwar zügig, andernfalls werden Sie noch in ihr ertrinken! Gehen Sie jetzt auf Ihre Posten. Wer sich meinen Befehlen auch nur ansatzweise widersetzt, wird binnen vierundzwanzig Stunden suspendiert und dem Wyshnaer Gericht übergeben. Das war's.«
Niemand sagte ein Wort. Alle sahen ihn an, selbst Fedora. Auf dem Grund ihrer Augen entdeckte er Begeisterung. Warum lieben Frauen bloß gerade die Männer so sehr, die sich mies verhalten? Warum lieben sie sie in einem Maße, dass sie bereit sind, selbst das flüchtige Abenteuer mit der jungen Konkurrentin zu verzeihen?
Angeekelt wandte sich Klawdi ab.
Sie befanden sich in einer Turnhalle. Offenbar in der einer Schule. Einer leeren. Vor den Fenstern gab es Gitter, die Ywha im ersten Augenblick einen ungeheuren Schrecken einjagten, dabei sollten sie nur das Glas vor Bällen schützen. Auch die dicken Stangen an der Wand waren nichts anderes als eine Sprossenwand. Allerdings gab es nicht nur die üblichen Markierungen für das Volleyball- und Basketballfeld, sondern auch noch ein kompliziertes Geflecht aus dünnen schwarzen Linien. Nein, nicht aus schwarzen, sondern aus rostroten und glänzenden — als sei das Feld des zukünftigen Spiels mit Blut markiert.
»Kommt herein, Schwestern! Verhaltet euch so, wie es euch eure Natur vorgibt. Folgt eurem wahren Wesen. Und wenn die Zeit kommt zu sterben, so sterbt. Und wenn die Zeit kommt zu leben, so lebt. Schreitet Fuß für
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