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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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denen … wie soll ich jetzt … leben … was soll ich sagen …«
    Die Wächter, selbst nahezu fassungslos, geleiteten sie bereits auf den Gang hinaus. Klawdi senkte den Kopf und ließ sich nicht in die Augen blicken.
    Die quietschende Tür schloss sich. Wütend riss sich der Großinquisitor die Kapuze vom Kopf, streifte den Seidenumhang von den Schultern und tastete in der Brusttasche nach dem heißersehnten Päckchen Zigaretten.
     
    Er hatte nicht die geringste Absicht, seine Zeit mit dem Kurator von Rjanka zu verplempern. Deshalb unterschrieb er einfach nur den Suspendierungsbefehl und beauftragte Hljur, den Kollegen entsprechend in Kenntnis zu setzen.
    Die nächsten anderthalb Stunden verschlangen Berichte und Dossiers. Der Epidemie in Rjanka war Einhalt geboten worden, allerdings setzte nun in Bernst, am anderen Ende des Landes, ein massenhaftes Viehsterben ein. Draußen vor dem Palast der Inquisition ertranken aufgebrachte Demonstranten fast im Regen. Klawdi warf einen flüchtigen Blick auf ein noch warmes Foto, aus dem ihn undurchdringliche Gesichter und ausnehmend beleidigende Plakate ansprangen. Warum, wusste er zwar nicht, aber er war davon überzeugt, dass dem Herzog genau in dieser Minute ebenfalls ein solches Bild auf den Schreibtisch gelegt wurde.
    Gleichsam als Antwort auf diesen Gedanken blinkte das rote Lämpchen des Regierungstelefons auf.
    »Es ist nicht leicht, Sie zu erreichen, Herr Großinquisitor.«
    »Die Arbeit im Namen der staatlichen Sicherheit verlangt eine gewisse Mobilität, Eure Durchlaucht«, entgegnete Klawdi trocken.
    »Dann will ich nur hoffen«, schnaubte der Herzog, »dass Sie sich in den nächsten Stunden etwas mobiler zeigen als im letzten halben Jahr – selbstverständlich nur, falls es diesbezüglich tatsächlich eine gewisse Dependenz gibt. Ich meine, zwischen Ihrer Mobilität und der Zahl der Toten in Rjanka. Oder zwischen Ihrer Mobilität und dem Schaden, den die Wirtschaft in Bernst erlitten hat. Haben Sie schon gehört, dass die Kühe dort verrecken? Sie wissen wohl nicht auch zufällig, warum?«
    »Um der Reinheit des Experiments willen«, entgegnete Klawdi bedächtig, »sollte ich vielleicht Urlaub nehmen … den ich am liebsten in Odnyza verbringen würde. Dann würden wir ja sehen, ob die Dinge wieder ins Lot kämen. Vielleicht werden die Kühe ja wieder lebendig?«
    »Eine schöne Zeit für Ihre Scherze haben Sie sich da ausgesucht.« Die Stimme des Herzogs wechselte von einer kalt-spöttischen Tonlage in die gänzlich kalte.
    »Und Sie haben eine nicht minder schöne für Ihre Gardinenpredigt gefunden«, parierte Klawdi. »Ich kenne einen Witz, da verprügelt ein besonders schlauer Bauer seinen Zuchthengst, nun … sozusagen … mitten im Geschehen. Um die Qualität der Nachkommen zu verbessern. Na, kommt Ihnen das vage bekannt vor?«
    Der Herzog legte eine Pause ein. Jeder andere Beamte hätte es in dieser Zeit geschafft, sich vor Angst gewaltig in die Hose zu pinkeln. Es war eine bedeutsame, eine schöne Pause.
    »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, Klaw«, fuhr der Herzog mit tiefer Stimme fort. »Aber mir gefällt nicht, was da vor sich geht.«
    »Wir tun alles, um das Ganze im Zaum zu halten«, erklärte Starsh einlenkend.
    Damit konnten sich beide zufrieden geben.
    Noch ein paar Minuten behielt Klaw den stummen Hörer nachdenklich in der Hand. Dann drückte er auf die Gabel und wählte die Nummer seines Stellvertreters. »Hljur, ich fahre nach Odnyza.«
     
    Für den Nachhauseweg brauchte er eine halbe Stunde. Wieder betrachtete er den Inhalt des Kühlschranks, den seine umsichtige Haushälterin aufgefüllt hatte. Nachdem er etwas kaltes Wasser getrunken, das Hemd gewechselt und den überquellenden Aschenbecher angeekelt zur Kenntnis genommen hatte, warf er sich aufs Sofa, um sich einem fünfzehn Minuten langen An-nichts-Denken hinzugeben. Seine heilige Viertelstunde.
    Aus diesem entspannenden Halbschlaf riss ihn das Telefon. Ganz von selbst tastete seine Hand nach dem Hörer. »Ja, hallo.«
    Es knisterte leise in dem unsichtbaren Gang, der zwischen ihm und jenem, der am anderen Ende schwieg, entstanden war.
    »Hallo …«, wiederholte er mechanisch.
    Jemand atmete in den Hörer. Unterdrückt und ungleichmäßig. Noch immer benommen setzte sich Klawdi auf dem Sofa hoch. »Wer ist denn da?«
    Niemand. Stille. Keine falsche Verbindung, sondern einfach Schweigen. Ein Hörer, den eine Hand fast zu Tode quetschte. Durch die Wände der Telefonzelle drang der

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