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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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aufeinander und schwor sich, heute bis zum Umfallen zu arbeiten. Bis er überhaupt keinen Wunsch mehr in sich verspürte. Bis zur Leichenstarre.
    »Weiter«, befahl er mit tonloser Stimme. »Die nächste.«
    Wieder quietschte die Tür enervierend in den ungeölten Angeln. Die eintretende Frau trug keine Fesseln, zischte etwas und fiel hin.
    Eine gewöhnliche Arbeitshexe, etlichen Anzeichen zufolge nur Mittelmaß. Warum man ausgerechnet sie unter den anderen Verhafteten ausgewählt und zum Verhör nach Wyshna gebracht hatte, war Klawdi schleierhaft. Obwohl … Mit dem Brunnen stimmte offenbar etwas nicht, der wirkte ausgesprochen merkwürdig.
    »Steh auf«, sagte er leise.
    Die Wächter mussten die Hexe stützen. Willenlos hing sie in ihren Armen. Ihre Abwehrkräfte reichten nur, um das Bewusstsein nicht zu verlieren.
    »Lass uns das Kriegsbeil begraben«, schlug Klawdi vor, während er die Kapuze zurechtrückte und die Sehschlitze neu ausrichtete. »Du bist zu schwach für einen Kampf, und mir steht nicht der Sinn danach … Was ist in Rjanka los? Holt ihr zum Schlag aus? Oder spannt ihr ein Netz?«
    »Ich weiß es nicht«, krächzte die Hexe voller Hass. Um diese Lüge zu bestrafen, bohrte er sich in ihren Blick und maß ihren Brunnen aus.
    Die Hexe schrie auf, denn der Schmerz war mehr, als sie ertragen konnte. Klawdi biss die Zähne aufeinander. Vierundsiebzig. Bei einer unauffälligen, durchschnittlichen Arbeitshexe! Ein ähnliches Gefühl musste einen Gemüsegärtner beschleichen, der in seinen Beeten einen Bären von der Größe eines Königspudels einfing.
    Die Frau verlor das Bewusstsein und tauchte in eine tiefe Ohnmacht ab. Klawdi schielte zum Protokoll über das Vorverhör hinüber. Xana Utopka, von Beruf Grundschullehrerin.
    Mit geschlossenen Augen stellte er sich den Kurator aus Rjanka in allen Einzelheiten vor, packte ihn insgeheim beim Revers, schüttelte ihn …
    Er würde nach Rjanka fahren müssen. Über kurz oder lang würden die Scheiterhaufen der Lynchjustiz dort lodern. Grillen würde man jedoch weder Schild- noch Kampfhexen, ja, nicht einmal einfache Arbeitshexen, sondern ganz gewöhnliche, dumme, nicht initiierte Mädchen, solche wie jene Rothaarige, die ihn an eine Füchsin erinnerte.
    »Xana Utopka«, sagte er in die Dunkelheit hinein. »Registrierungsnummer 709, normale Haftbedingungen … Und holt sofort einen Arzt!«
    Die quietschende Tür öffnete und schloss sich.
    Die nächste Hexe betrat mit stolz erhobenem Kopf den Raum. Sofort erkannte Klawdi sie wieder. »Das ist bloß der Anfang! Das ist bloß der Anfang! Wartet's nur ab!«
    »Hallo, Schreihals«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
    Das Mädchen war höchstens fünfzehn. Klawdis Anwesenheit irritierte sie, mehr aber auch nicht. Um ihre innere Abwehr hätte sie ein schwerer Panzer beneiden können.
    »Hallo, Henker«, erwiderte sie ungerührt. »Hast du für den Scheiterhaufen genug Brennholz auf Vorrat?«
    »Keine Sorge, das hab ich«, beruhigte sie Klawdi. »Warum hast du gesagt, dies sei nur der Anfang?«
    »Das wirst du schon noch sehen«, erklärte die junge Frau mit gebleckten Zähnen. Bei ihr handelte es sich um eine Bannerhexe. Dieser Typ war fanatisch bis zum Wahnsinn und verfügte, was die Sache besonders unangenehm machte, ansatzweise über das zweite Gesicht. Sie spielten die hysterischen Wahrsagerinnen, tarnten ihren nüchtern kalkulierenden Verstand dabei jedoch bloß hinter Raserei.
    »Bist du schon volljährig?«, fragte Klawdi nachdenklich.
    »Nein«, teilte das Mädchen sorglos mit. »Ich bin noch keine achtzehn … Laut Hexenrecht dürfen Minderjährige beim Verhör nicht gefoltert werden, ebenso wie bei ihnen von allen anderen Arten der Bestrafung abzusehen ist. Stimmt doch, oder?«
    »Hmm«, meinte Klawdi nickend, während er nach ihrem Blick schnappte.
    Eine sekundenkurze Pause. Die Hexe erbleichte, ließ sich ihren Schmerz jedoch nicht anmerken. Klawdi gab sie wieder frei und sank erschöpft gegen die Lehne.
    Der Brunnen rangierte auf der Skala bei fünf- oder sechsundsiebzig. Entweder musste dem Kurator aus Rjanka eine Prämie für die Festnahme der drei stärksten Hexen im Land ausgezahlt werden, oder …
    … oder in Rjanka schossen seit Kurzem Hexenmonster wie Pilze aus dem Boden.
    Klawdi senkte die Lider. Er gierte nach einer Zigarette.
    Eine Bannerhexe also. Vorgefühle, Vorhersagen, geheime Hoffnungen und Ängste …
    »Kein Verhör mit Folter«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
    Seine

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