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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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vor.
    Obwohl er gar nicht die Absicht hatte, seine Drohung in die Tat umzusetzen – nach dem langen, schweren Tag stand ihm wahrlich nicht der Sinn danach, sich durch einen Schild zu bohren, noch dazu bei einem zweiundsiebziger Brunnen –, fasste die Hexe seine knappe Bewegung als einen solchen Versuch auf.
    Ihre Lippen formten daraufhin ein unschuldiges, geradezu kindliches Lächeln. Das zerknitterte Kostüm, in dem sie vermutlich auch festgenommen worden war, wechselte von der schmutzig beigen Farbe plötzlich zu Schneeweiß, um sodann in Fetzen von ihr abzufallen und auf den Steinfußboden zu gleiten. Magda Rewer stand nackt vor ihm. Die Fesseln, die sich schmerzhaft in Hand- und Fußgelenke bohrten, versinnbildlichten nun eine bizarre erotische Phantasie.
    Magda Rewer warf den Kopf in den Nacken, und ein lang anhaltender, leidenschaftlicher Schauder erfasste ihren Körper. Die bräunlichen Brustwarzen zogen sich zusammen und richteten sich auf, stachen dem Inquisitor förmlich in die Augen. In Klawdis Ohren trommelte es dumpf. Immer lauter und lauter.
    Er biss sich auf die Lippe und riss die rechte Hand mit aneinandergepressten Fingern nach vorn. Die Hexe unterdrückte den Schmerzensschrei nicht.
    Die nächsten Minuten betrachtete Klawdi den eigenen Schatten, der im Licht der Fackel zuckte, und lauschte darauf, wie die Spannung von ihm abfiel. Wendungen dieser Art mochte er nicht sonderlich. Nach solchen Verhören blieb das Gefühl, ein geiler Bock zu sein, an ihm kleben, und Gewissensbisse plagten ihn.
    Er hob den Blick. Magda Rewer krümmte sich, ging jedoch nicht zu Boden. Nach wie vor trug sie das zerknitterte Kostüm, die Wächter hinter ihr standen ungerührt da. Sie hatten diese Vision nicht gehabt, denn die Schildhexe hatte ihre Kräfte auf einen der anwesenden Männer konzentriert.
    »Magda«, flüsterte er. »Du arbeitest gerade an deinem eigenen Scheiterhaufen.«
    Sie wimmerte zwar, ihr Blick behielt jedoch seinen gelangweilten, überheblichen Ausdruck bei.
    »Du hast zwei Stunden, um über alles nachzudenken … Ich möchte aus Rjanka einen hexenfreien Kreis machen. Das ist nicht einfach, aber du wirst mir bestimmt dabei helfen …«
    Die Hexe grinste über beide Ohren.
    »Von mir aus kannst du es auch bleiben lassen«, fuhr Klawdi unbeirrt fort. »In diesem Fall wären für den Henker sämtliche Zweifel ausgeräumt.«
    Die Schildhexe hüllte sich in Schweigen und gaukelte Klawdi vor, die Umrisse ihrer Brustwarzen würden sich unter ihrem Jackett abzeichnen. Der Inquisitor presste die Zähne aufeinander.
    »Ich fahre nach Rjanka«, verkündete er. »Vorher jedoch wirst du mir sagen, was ich wissen will. Du oder eine andere. Aber mit Sicherheit wird mir eine von euch weiterhelfen.«
    Indem er die Hand hob, bedeutete er ihr, dass das Verhör beendet sei. Als Magda abgeführt wurde, setzte sie an, etwas zu sagen, brachte dann aber doch kein Wort hervor. Nur ihre Augen verengten sich für einen flüchtigen Moment zu Schlitzen, was sie wie die Schießscharten einer belagerten Festung aussehen ließ.
    »Magda Rewer, Registrierungsnummer 712«, sagte Klawdi in den Raum. »Verschärfte Haftbedingungen.«
    Die beiden Stunden, die ihr zum Nachdenken zugebilligt worden waren, verbrachte die Schildhexe Magda Rewer in einer Einzelzelle, Hände und Füße in fest verankerte Holzblöcke gezwängt. Da die Zellenwände mit dem Zeichen des Spiegels versehen waren, wurde jeder ihrer Gedanken von den Wänden zurückgeworfen und traf, zehnfach verstärkt, wieder auf die Quelle.
    Wenn Magda am Leben bleiben wollte, musste sie an etwas Angenehmes denken. Klawdi grinste spöttisch.
    Bei dem Gedanken an den abberufenen Kurator aus dem Kreis Rjanka schlich sich Schadenfreude in dieses Grinsen. Jetzt wusste er immerhin, was er dem Mann sagen konnte, der so viele lange, unangenehme Stunden in seinem Vorzimmer hatte warten müssen. Jetzt wusste er auch, weshalb er den Kollegen aus Rjanka auf diese Weise erniedrigt hatte. Nicht, weil er, Klawdi, von Natur aus gemein war – und nicht einmal, weil er sich für Intrigen aus der Vergangenheit rächen wollte. Für die Verhaftung einer Schildhexe hätte der Kollege aus Rjanka Lorbeeren einheimsen können – wenn sie vor der Epidemie erfolgt wäre und nicht, während diese gerade tobte. Insofern durfte der Herr Kurator kaum noch mit Lob rechnen.
    Klawdi unterdrückte das Verlangen nach einer Zigarette. Erschaudernd dachte er an die prallen Brüste Magda Rewers. Er presste die Kiefer

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