Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
Vom Netzwerk:
folgte ein weiterer Saal, dann blieb Klawdi endlich vor einer polierten Tür mit einer gestrengen Tafel stehen. Er klopfte an, betrat den Raum jedoch sofort, ohne eine Antwort abzuwarten. Ywha stolperte über die Schwelle. Aus unerfindlichen Gründen war sie sich sicher gewesen, dass die Tür verschlossen war.
    »Frau Torka!«
    Das Vorzimmer war leer. Auf dem Schreibtisch der Sekretärin stand eine Tasse mit Tee, lag eine zerknitterte Quittung mit einem Firmenlogo in der rechten oberen Ecke; zwei Türen gingen von dem Zimmer ab, eine nach rechts, eine nach links. Das Telefon war ausgestöpselt. Ywha roch etwas. Auch Klawdi entging der Geruch von Herztropfen nicht. Ein flüchtiger, bereits verwehter Geruch.
    Die Tür rechts. Leer. Hier war die Torka nicht, was Klawdi aber nicht weiter erstaunte; seltsam schien bloß, dass sie die Tür nicht abgeschlossen hatte.
    Die Tür links.
    Ein Damenjackett, über die Lehne eines Schreibtischstuhls geworfen. Durchwühlte Schubfächer des Schreibtischs. Spuren einer brutalen Durchsuchung oder einer sorgfältigen Verwüstung. Ob Helena die Liste mit den Namen der verhafteten Hexen aufgesetzt hatte? Und wenn ja, wo bewahrte sie sie auf?
    Das Kabel des Telefons war akkurat abgeschnitten. Daneben lag ein Schlüsselbund mit einem Anhänger in Form einer Hühnerkralle. Er wog schwer in der Hand.
    Klawdi überlegte kaum. »Komm her, Ywha.«
    Die junge Frau betrat das Büro. Klawdi schubste sie in Richtung Tisch. »Bleib hier. Ich hole dich nachher wieder ab.«
    Ihre Augen weiteten sich entsetzt. »N-nein … ich …«
    »Es dauert nicht lange.«
    Er drehte den Schlüssel zweimal im Schloss um. Entgegen seiner Befürchtung fing die Frau weder zu weinen noch zu brüllen an. Kein Wort, kein Seufzer kam über ihre Lippen. Mit einem Mal fühlte er sich unwohl. Als sähe man ihn mit tadelndem Blick an und er wäre nicht imstande, sich wegzudrehen.
    »Ich bin gleich wieder da«, teilte er der verschlossenen Tür mit.
    Der gewohnte Ablauf im Theater war bereits gestört, durcheinander geraten, überstürzt zu Ende gebracht worden und hatte sich jetzt Gott weiß wohin verzogen. Die Türen zu den Garderoben standen sperrangelweit offen, in allen Ecken ließ sich eine sachliche und betont gelassene Lautsprecherstimme vernehmen: »An alle Angehörigen des Theaters ergeht die Bitte, in den Garderoben zu bleiben. Bleiben Sie bitte in Ihren Garderoben. Die Vorbereitungen für die Vorstellung sind eingestellt. An alle Angehörigen des Theaters ergeht die Bitte, in den Garderoben zu bleiben. Kommen Sie nicht in die Gänge hinaus, bleiben Sie in Ihren Garderoben.«
    Der Sprecher war mit der Befehlstechnik offenbar gut vertraut. Zumindest vorläufig gehorchte man ihm. In den Gängen herrschte gähnende Leere, Klawdi lief sie, begleitet von verängstigen Blicken, hinunter. Aus einer Tür blickte eine ältere Dame, die mit beiden Armen purpurrote Mäntel umklammerte, wie sie Schurken trugen. »Junger Mann …«
    Als sich Klawdi der Frau zuwandte, prallte diese zurück. Der Inquisitor wusste, dass er, wenn er sich auf einen Kampf vorbereitete, extrem widerwärtig aussah. Dafür brauchte er nicht einmal einen purpurroten Mantel!
    Den Chef der Sondereinheit fand er in einem mit Ankündigungen gespickten Büro. Zwei in einer Ecke kauernde Frauen und ein Mann im Frack beäugten scheu das Funkgerät in den Händen des ungebetenen Gastes.
    »Wir haben sie abgefangen, Patron. Die Mädchen. Neun insgesamt. Aus der Abschlussklasse.«
    »Sind sie aktiv?«
    »Nein, Patron. Sie sind durch die Bank taub. Genau wie im Dossier vermerkt. Die Vorstellung ist abgesetzt. Die Zuschauer werden nicht eingelassen. Wir durchkämmen gerade sämtliche Etagen.«
    »Die Torka ist nicht in ihrem Büro. Sind Sie sicher, dass sie sich noch im Theater befindet?«
    »Alle haben sie kommen sehen. Aber niemand hat gesehen, dass sie das Theater verlassen hätte. Ihr Auto steht auch noch auf dem Parkplatz.«
    »Wie viele sind es Ihrem Gefühl nach, Kosta?«
    Der Chef der Sondereinheit verengte die Augen zu Schlitzen. Einige der Fähigkeiten eines Inquisitors im Außendienst – und die Witterung gehörte dazu! – überstiegen sogar die des Großinquisitors: Kosta verhörte die Hexen nicht, er fing sie ein.
    »Viele, Patron. Hier in diesem Gebäude halten sich viele auf … fünf oder sechs. Und bisher haben wir keine Einzige von ihnen gefunden.«
    »Ist das Gebäude umstellt?«
    Der Leiter verdrehte die Augen, im Grunde eine Unbotmäßigkeit,

Weitere Kostenlose Bücher