Das Jesus Video
damit werden wir das Unheil nicht mehr aufhalten.«
»Was heißt das?«
Stephen biß sich auf die Unterlippe.»Sie werden hierher kommen. Egal, wohin wir gehen, und egal, was wir tun. Es tut mir leid.«
Von ganz weit weg, fast wie der ferne Ruf eines Adlers drang ein Schrei über die Mauer. Es war ein gespenstischer Moment, und die drei konnten sehen, wie in den Augen des Mönchs Panik aufflackerte. Es gab hier keine Adler. Es war der Schrei eines Menschen gewesen, nicht zu verstehen zwar, aber dem Tonfall nach ein Kommandoruf, der eine ganze Horde dirigieren sollte. Sie kamen.
»Aber«, meinte Gregor,»das ist doch Irrsinn. Wieso sollte jemand so etwas anrichten, für die Suche nach einem Gegenstand, der ins Reich der Legenden gehört?«
Stephen atmete tief durch. Dies war der Moment, in dem sich letztlich alles entschied. Der Moment, in dem man jemanden gewinnen mußte. Jetzt… oder nie.
»Sie haben recht«, sagte er, die Hände zu einer beschwörenden Geste ausbreitend.»Das wäre Irrsinn. Aber bitte hören Sie mir genau zu. Wir wissen — ich betone, wissen — daß ein Mensch durch die Zeit gereist ist, und zwar ungefähr in das Jahr, in dem Jesus begonnen hat zu predigen. Dieser Mensch hatte eine Videokamera dabei — das ist so etwas ähnliches wie eine Filmkamera, nur werden die Bilder auf Magnetband gespeichert, wie in einem Tonbandgerät -, und er hat Filmaufnahmen von Jesus Christus gemacht. Ich sage es nochmal: Das ist keine Theorie, sondern Tatsache. Was wir nicht genau wissen, ist, wo die Kamera mitsamt den Aufnahmen abgeblieben ist.«
»Durch die Zeit gereist?«Der Mönch schüttelte ungläubig den Kopf.»Aber das geht doch nicht.«
»Es ist geschehen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen jetzt die ganze Geschichte erzählen, aber dazu reicht die Zeit nicht. Wir sind hier, weil wir bei unseren Nachforschungen auf die Legende von dem Spiegel gestoßen sind, der das Antlitz Jesu bewahrt. Wir glauben, daß es sich bei diesem Spiegel in Wirklichkeit um die Kamera handelt, und wir glauben, daß sie in diesem Kloster aufbewahrt wird.«
Zu sagen, daß Bruder Gregor dastand wie vom Donner gerührt, wäre eine bemerkenswerte Untertreibung gewesen. Sein Gesicht hatte eine aschfahle, ungesunde Farbe angenommen, seine Backen, die vorhin noch so gesund und voll ausgesehen hatten, hingen schlaff herab, sogar seih Haar schien mit einem Schlag grau werden zu wollen.
»Aber«, brachte er mühsam hervor,»dieses Kloster wurde erst vor sechshundert Jahren erbaut. Es kann nicht sein.«
»Die Kamera war vorher an einem anderen Ort verborgen und gelangte damals in den Besitz der Franziskaner«, behauptete Stephen dreist etwas, was er so genau auch nicht wußte, sondern nur vermutete. Er deutete mit den Händen die ungefähren Abmessungen des Geräts an.»Es müßte sich um einen rechteckigen Gegenstand handeln, der ungefähr so groß ist. Möglicherweise ist er irgendwie eingewickelt oder in einen größeren Kasten eingeschlossen.«
Der Blick des alten Mannes wurde fahrig.»Wo sollte dieser Gegenstand sein? Es ist doch leicht zu erkennen, daß hier nichts dergleichen zu finden ist.«
Stephen tauschte einen Blick mit Yehoshuah.»Wir dachten zuerst, daß die Kamera — der Spiegel also — hier als Reliquie oder Heiligtum verehrt wird. Aber es könnte auch sein, daß sie versteckt wurde und Sie gar nichts mehr davon wissen.«
»Hier ist nichts«, wiederholte der Mönch und wies hinüber auf die Kapelle.»Bitte, Sie können sich den Altar ansehen.«Er sah aus, als müßte ihn jeden Augenblick ein Schwächeanfall dahinraffen.
Und allmählich kamen Stephen selber Zweifel, daß die Kamera hier war. Vielleicht existierte sie längst nicht mehr. Das war doch am wahrscheinlichsten. Oder sie ruhte nach wie vor in der Klagemauer. Hatte er sich vielleicht allzu bereitwillig ablenken lassen durch das Gerede von Yehoshuahs Vater? War es ihm nicht gerade recht gekommen? Er hatte allein und hungrig in seinem Hotelzimmer gesessen, hatte gerade erfahren, daß jemand, den er kannte, plötzlich und unerwartet gestorben war… Natürlich hatte er sich Sorgen gemacht wegen des Tauchgangs. Dreißig Jahre lang findet sich niemand, der es wagt — da kann man schon ins Grübeln kommen, wenn man es ausgerechnet als Tauchanfänger versuchen will. War es da nicht der leichteste Ausweg, plötzlich fest daran zu glauben, die Kamera sei überhaupt nicht am Ende dieses bedrohlichen Tunnels, sondern liege sicher verwahrt in einem sonnigen
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