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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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daß Ryan in diesem Augenblick hereinkam, eines der mobilen Telefone in der Hand.»Basso«, sagte er nur, als er es ihm reichte.
    Stephen Foxx saß an seinem eingeschalteten Laptop und hatte absolut keine Lust, das Angebot an Video World Dispatcher zu schreiben. Aber etwas nicht zu tun aus dem Grund, weil man keine Lust dazu hatte, war unprofessionell. Und Stephen Foxx hatte nicht vor, unprofessionell zu handeln.
    Als erstes wählte er sich in seinen Computer zu Hause ein, suchte die Dateien, die die für das Angebot notwendigen Texte und Bilder enthielten, und startete deren Übertragung. Dann, während sehr langsam zunehmende Prozentzahlen ahnen ließen, daß die Übertragung noch eine ganze Weile dauern würde, lehnte er sich zurück und überließ sich den Gedanken, die ihm wie wilde Bienen durchs Hirn sausten.
    Die Vorstellung, daß der Jesus, von dem in der Kirche, im Religionsunterricht, in den frommen Geschichten und Liedern die Rede war, in Wahrheit nie existiert haben könnte -daß sie alle einem Mythos aufgesessen waren, daß dieser Jesus nicht realer war als der Weihnachtsmann, der an Weihnachten angeblich die Geschenke brachte — kam ihm vor wie der reine Hohn. War das nicht erstaunlich? Jedem, der ihn gefragt hätte, hätte er ohne zu zögern erklärt, daß ihn Religion nicht interessiere, sondern nur das wirkliche Leben. Daß er die Religion, in deren Namen man ihn als wehrloses Kind getauft hatte, längst abgestreift und hinter sich gelassen hatte. Daß man ihn allenfalls als undogmatischen Humanisten bezeichnen durfte. Jemand, der versuchte, es richtig zu machen. Anständig durchs Leben zu kommen. Gut zu sein, aber mit Maß und Ziel.
    Und nun beschäftigte ihn das so. Er hatte wohl doch härter mit dieser Gestalt gerungen, als ihm bewußt gewesen war. Seine ganze Kindheit hindurch hatte er erlebt, wie doppelbödig die Leute mit Gott hantierten. Seine Eltern taten noch heute nach außen hin so fromm, wie es in der Gemeinde opportun war, aber in Wirklichkeit führten sie ein Leben, das unbeeindruckt war von den Lehren der Religion, der anzugehören sie vorgaben. Ein guter Christ sein hieß, an Weihnachten in die Kirche zu gehen und für wohltätige Zwecke zu spenden, wenn es sich nicht vermeiden ließ, und auch dann nur so viel wie nötig, um nicht unangenehm aufzufallen.
    Nur in manchen Situationen, da überkam sie dann die Frömmigkeit. In kritischen Situationen hauptsächlich. Als seine Mutter diesen Anfall gehabt hatte, den man zunächst für einen Herzinfarkt gehalten hatte — da hatte Vater sie alle zusammengeholt, um gemeinsam zu beten. War das peinlich gewesen! Aber Gott schien es gefallen zu haben, denn schließlich stellte sich heraus, daß es kein Infarkt, sondern nur eine Virusattacke gewesen war.
    Religion, das war für seine Eltern, und überhaupt für alle Leute, die er kannte, eine Art Regenschirm. Bei schönem Wetter denkt man überhaupt nicht an seinen Regenschirm. Erst wenn es regnet, fällt er einem wieder ein. Aber wirklich glauben — das tat niemand, den er kannte.
    Und als er heranwuchs, kam ihm das, was zu glauben da von einem gefordert wurde, ohnehin mehr und mehr wie eine Zumutung vor. Die jungfräuliche Empfängnis, zum Beispiel. Als er vierzehn war, wurde ein Mädchen aus der Klasse über ihm, die beim Petting mit ihrem Freund nicht aufgepaßt hatte, schwanger, obwohl sie noch Jungfrau war. Als das herauskam, wollten Spott und Häme überhaupt nicht mehr aufhören (»Marie-Lou ist ein Engel erschienen, der sprach zu ihr: Faß mir in die Hose — ha, ha, ha!«). Aber niemand, nicht einmal der Religionslehrer, hielt es für eine erwägenswerte Hypothese, daß Marie-Lou vielleicht den nächsten Heiland gebären würde.
    Und dann war da Nick. Nick Foster. Nick war sein bester Freund gewesen, seit er denken konnte. Sie hatten sich feierlich ewige Freundschaft geschworen. Hatten gemeinsam die Sammelbilder aus den Cornflakes-Packungen gesammelt. Die großen Mädchen heimlich beim Baden im See beobachtet und Witze über Busen gemacht. Sie hatten sich überlegt, was sie einmal werden wollten, wenn sie groß waren. Stephen hatte Astronaut werden wollen, Nick dagegen Gouverneur oder Senator.
    Doch dann war Nick ertrunken. An einem ganz gewöhnli chen Tag im Herbst. War in den See gefallen, hatte den Kopf angeschlagen, so daß er bewußtlos wurde, lange genug, um zu ertrinken. Gerade zehn Jahre alt.
    Er hatte immer noch dieses Bild vor Augen, wie Nick aufgebahrt lag, auf seinem Bett.

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