Das Jesus Video
Ringsum war unfaßbar aufgeräumt gewesen. Zwei Tage vorher hatten sie auf diesem Bett noch herumgelümmelt und ferngesehen, und das Zimmer war der übliche gemütliche Schweinestall gewesen. Und Nick hatte ihm den großen Batman-Band ausgeliehen. Als Stephen ihn nach der Beerdigung zurückbrachte, sagte Nicks Schwester, er solle ihn behalten. Er hatte ihn immer noch.
Stephen starrte blicklos auf die graue Zeltleinwand, die vor seinen Augen verschwamm. Damals, als er von einem Tag auf den anderen allein dagestanden hatte, zurückgelassen, da hatte er zu Gott gebetet, er solle Nick wieder lebendig machen. Wenn Jesus von den Toten auferstehen konnte, warum nicht Nick? Aber Gott erhörte ihn nicht. Heute mußte er über sich selber lächeln, wenn er daran zurückdachte. Er hatte seine Eltern imitiert. Gott war eine Instanz, an die man sich wandte, wenn man allein nicht zurechtkam. Eine Instanz, die einem dann auch nicht half.
Die Prozentzahl auf dem Schirm erreichte hundert, und ein Piepston signalisierte das Ende der Übertragung. Stephen schüttelte die Erinnerungen ab und unterbrach die Verbindung. Er bemühte sich, nicht darüber nachzudenken, was ihn diese Dateien nun gekostet hatten.
Also, das Angebot. Auch wenn es momentan wie das Unwichtigste aussah, was er machen konnte. Er rief noch einmal das Fax vom Donnerstag auf den Schirm, um sich darüber klarzuwerden, was er schreiben würde. Der Fragenkatalog war ziemlich lang, sozusagen erschöpfend. Gut, das erlaubte ihm, mit einem Hinweis auf den beschränkten Raum und auf den offensichtlich bestehenden großen Erklä rungsbedarf ein persönliches Gespräch vorzuschlagen. Und solange die Einzelheiten nicht geklärt waren, war es natürlich auch unmöglich, schon einen konkreten Preis zu nennen.
Erst jetzt entdeckte er, daß diese Firma auch eine Homepage im Internet unterhielt. Deren Adresse stand, wie das mittlerweile üblich geworden war, kleingedruckt im Briefkopf: http://www.video-world.com. Interessant. Vielleicht konnte er dort ein bißchen mehr über die Firma erfahren. Was nie von Nachteil war, wenn man ein Angebot schreiben wollte, von dem ja schließlich Verlockung ausgehen sollte. Da war es schon nützlich, wenn man eine Vorstellung davon hatte, was der Geschäftspartner als verlockend empfinden mochte.
Also stöpselte Stephen das Handy wieder an, startete sein Internet-Programm und tippte die angegebene Adresse ein.
Es war eine aufwendige, professionell gestaltete Homepage, aber eine Abbildung des weitläufigen Firmengebäudes war alles, was über Video World Dispatcher zu erfahren war. Ansonsten wurde einem ein Katalog des aktuellen Angebots geboten, mit Preisen und der Möglichkeit, direkt online zu bestellen. Sämtliche Kreditkarten wurden akzeptiert, und alle Formen digitalen Bargeldes, die es gab, auch.
Der Katalog konnte wahlweise über Produktarten — Heimvideo, professionelles Video, Audio und Video Integration und eine Menge anderer Fachbegriffe — oder über Hersteller angegangen werden. Stephen wählte die zweite Möglichkeit und klickte auf SONY.
Das Firmenlogo des japanischen Konzerns erschien, und man hatte noch einmal die Qual der Wahl. Normale CamCorder. Digitale CamCorder.
Und - Stephen stockte der Atem — man konnte Vorbestellungen aufgeben für die in drei Jahren auf den Markt kommende MR-Serie.
Das war ja unglaublich. Warum hatte ihm das der Typ nicht erzählt, mit dem er bei SONY gesprochen hatte? Der hatte getan, als ob der MR-01 ein Staatsgeheimnis wäre. Kein Wort davon, daß man das Gerät schon bestellen konnte.
Stephen klickte den entsprechenden Link an und hielt gespannt den Atem an, während sich die Seite aufbaute. Immerhin stand da zunächst zu lesen, daß Video World Dispatcher weltweit die einzige Firma war, die jetzt schon Bestellungen für die auf einer revolutionären neuen Technologie basierenden MR-CamCorder von SONY entgegennahm, mit garantierter Vorzugsbelieferung ab Markteinführung.
Ein Werbegag wahrscheinlich. Stephen konnte sich nicht recht vorstellen, daß der gigantische japanische Konzern irgendeinem Versender an der amerikanischen Ostküste Sonderkonditionen einräumte. Er rollte die Seite abwärts, dorthin, wo die Produktpalette erläutert war. Das war interessant. Da sah man endlich einmal, wonach man eigentlich suchte.
Da gab es zunächst den MR-S, das Abspielgerät für zu Hause. Auf dem winzigen Bild war ein flacher schwarzer Kasten zu sehen, der so aussah, wie Videoplayer eben
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