Das Jesusfragment
Yorkerin in Ihrem Leben?«, fragte Sophie erstaunt und ihre Augen blitzten schelmisch.
»Nein, nein. Ich hätte dann immer den Eindruck, mit einer meiner Filmfiguren zu schlafen! Es gab eine Frau aus Kalifornien, aber wir haben uns der Statistik entsprechend nach ein paar Jahren scheiden lassen.«
»Warten Sie mal. Der reiche Drehbuchautor in New York, der Erfinder einer Erfolgsserie, ist noch ledig?«
»Täuschen Sie sich nicht, das bringt mir nicht unbedingt Glück.«
Sie fächelte sich Luft zu, und ich wusste nicht, ob sie damit Mitleid oder Ungläubigkeit ausdrücken wollte.
»Und Sie? Leben Sie allein?«, fragte ich betont desinteressiert.
»Nein, ich lebe mit meinem Laptop«, spöttelte sie.
»Nein, im Ernst.«
»Schauen Sie, ich weiß nicht, ob eine Journalistin mit jemandem zusammenleben kann. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich Lust dazu hätte. Ich bin immer unterwegs, stecke völlig bis über die Ohren in irgendwelchen unmöglichen Recherchen und verbringe die Hälfte meiner Zeit am Telefon und die andere Hälfte im Internet. In den wenigen Ruhepausen, die ich mir gönne, suche ich den Arzt auf, um mir Beruhigungsmittel verschreiben zu lassen. Nein, ehrlich, ich könnte mit niemandem zusammenleben.«
»Waren Sie denn noch nie verliebt?«, traute ich mich zu fragen.
»Doch.«
Ein kurzes Schweigen. Ein Zögern. Als ob sie versuchte, mich abzuschätzen. Ich wartete.
»Ich war einmal verliebt in … jemanden, der Kunstgeschichte und Mathematik unterrichtete.«
Aha. Sie hatte kurz vor ›jemanden‹ gezögert. Aber ich war davon überzeugt, dass sie ›eine Frau‹ sagen wollte. Sie hatte sich verraten. Ich lächelte.
»Und wer sagt Ihnen, dass ich im Augenblick nicht verliebt bin?«, amüsierte sie sich und blickte mir direkt in die Augen.
Ich antwortete nicht. Sophie besaß die Gabe, mir Unbehagen zu bereiten, und sie wusste es. Sie mochte es sogar.
Ich wechselte das Thema, und wir plauderten über das Regenwetter, über Essen, Kino und Literatur. Sie liebte den Winter, ich den Frühling. Sie hasste schlechtes Essen, ich tat nur so als ob. Sie liebte Woody Allen, ich ebenfalls. Sie hasste Spielberg, ich nicht. Paul Thomas Anderson war für mich die Entdeckung des Jahrzehnts; sie hatte Magnolia zwar gemocht, fand aber, dass ich übertrieb. Jeder zweite Lelouch-Film ließ sie kalt; wir überprüften, ob es dieselben waren, die ich nicht mochte. Sie hatte Der Name der Rose geliebt, sich aber beim Foucaultschen Pendel zu Tode gelangweilt; ich mochte beide Filme. Insgeheim verehrte sie Proust; Über das Lesen war mein Lieblingsbuch. Bis spät in den Abend verglichen wir unsere Vorlieben und unterhielten uns über das, was uns gefiel. Die meisten Gäste waren bereits gegangen, und aber sie erzählte weiter, was sie mochte und was nicht, aber ich hörte ihr schon lange nicht mehr zu. Auch wenn ich mich noch so sehr bemühte, an etwas anderes zu denken, auf dem einen Ohr hörte ich nur Sex, Sex, Sex, und auf dem anderen Lesbe, Lesbe, Lesbe.
Plötzlich merkte ich, dass ihre Stimme verstummt war. Sie erhob sich und kam zu mir, um mir ins Ohr zu flüstern.
»Ich mag auch Jungs«, flüsterte sie, bevor sie auf die Toilette zusteuerte.
Ich blieb wie ein Trottel am Tisch zurück und hörte in einer Endlosschleife das Echo dieses Satzes. Ihres kurzen, mörderischen Satzes. Und als sie zurückkehrte, tat sie so, als hätte sie nichts gesagt.
»Gehen wir?«, schlug sie mit unschuldigem Blick vor.
In einem Drehbuch für Sex Bot würde der Held jetzt nach Hause zurückkehren, Sex mit der brünetten Journalistin haben, aber nach einigen Stunden wilden Kopulierens unweigerlich erkennen, dass ihre sexuellen Gepflogenheiten mit seinen eigenen Ansprüchen unvereinbar waren. Sie würden sich im Morgengrauen trennen und sich das falsche Versprechen geben, einander irgendwann einmal anzurufen. Vielleicht würden sie sich tatsächlich drei oder vier Jahre später wiedersehen, jedoch nur, um bei einem erneuten Versuch festzustellen, dass ihre sexuellen Vorlieben immer noch unvereinbar waren. Meinen Fans würde das gefallen. Meinen Produzenten ebenfalls.
Aber im wirklichen Leben bezahlte ich die Rechnung, und als wir kurz nach Mitternacht zurückkehrten, wünschte sie mir gähnend eine gute Nacht. Ich gab mich damit zufrieden, an sie zu denken, während ich versuchte, einzuschlafen.
Eine halbe Stunde später klopfte Sophie an meine Tür.
»Ja?«, murmelte ich, bereits halb eingedöst.
»Damien!«, flüsterte
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