Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
Vom Netzwerk:
Geräusch der Schreibmaschinen. Ich liebe dieses Geräusch. In Filmen hört man, wie Journalisten und Sekretärinnen wild auf ihre großen Maschinen einhacken, und das Geräusch der Walzen, wenn sie das Blatt herausziehen. Es ist schwachsinnig, aber ich mag es sehr. Mit den Computern heutzutage ist dieses Geräusch aus den Redaktionsräumen völlig verschwunden. Außerdem werden die Büros immer mehr durch Trennwände geteilt.«
    »Sie brauchen doch nur mit der Schreibmaschine zu schreiben!«
    »Ach was. Ich liebe das Geräusch, aber es ist viel praktischer, mit dem Computer zu arbeiten. Und außerdem hängt man in meinem Beruf heutzutage ständig im Internet.«
    »Nun, immerhin haben wir das gemeinsam: Auch ich sitze fast den ganzen Tag vor dem Computer.«
    »Ihr Agent sieht das ein wenig anders!«
    »O nein, bloß nicht! Reden Sie nicht von diesem Mann! Darf ich Sie daran erinnern, dass ich hier bin, um ihn zu vergessen? Erzählen Sie lieber von sich, oder Ihren Eltern, zum Beispiel.«
    »Oha, soll das ein Verhör werden?«
    Sophie zog die Stirn kraus und schob ihren Stuhl zurück, um die Beine übereinander zu schlagen.
    »Na ja. Immerhin haben Sie meinen Vater kennen gelernt. Ich weiß nicht einmal, ob Sie Familie haben! Ich weiß gar nichts über Sie!«
    Sie lächelte. Dann schob sie den Stuhl an den Tisch zurück, stützte die Ellbogen auf den Tisch, legte das Kinn auf ihre gefalteten Hände, blickte mir direkt in die Augen und beschloss, mir eine Antwort zu geben.
    »Einverstanden. Also, ich bin in Paris geboren und ein Einzelkind wie Sie. Meine Eltern sind beide im Ruhestand. Sie sind wundervolle Menschen. Ich hatte großes Glück.«
    »Meine Mutter war genial, das kann ich Ihnen versichern.« Sie lächelte.
    »Und was haben sie vor dem Ruhestand gemacht?«, fragte ich wieder.
    »Mein Vater hat sein Leben der Erziehung gewidmet, er unterrichtete Philosophie in einer Abiturklasse und an der Universität. Er hat mir den so genannten kritischen Verstand beigebracht. Da er immer zwei Monate Sommerferien hatte, reiste er überall mit mir hin. Meine Mutter begleitete uns drei Wochen lang, aber die übrige Zeit war ich mit ihm allein. Es war unglaublich! Wir sind in die Vereinigten Staaten gereist, nach China, nach Moskau und sogar nach Japan und Indien. Wenn ich daran denke, schäme ich mich dafür, dass er mich so sehr verwöhnt hat. Als einzige Gegenleistung forderte er von mir, immer ein Reisetagebuch zu schreiben.«
    »Das ist ulkig.«
    »Jeden Sommer schrieb ich ein paar hundert Seiten voll, ich hielt alle meine Eindrücke fest über die Länder, die wir besuchten.«
    »Haben Sie diese Hefte aufbewahrt?«
    »Natürlich. Stilistisch sind sie katastrophal, aber mein Vater las aufmerksam jede Seite, und ich war sehr stolz. Ich sah mich bereits als große Reporterin.«
    »Und Ihre Mutter?«
    »Sie war Ärztin und selten zu Hause. Sie ist eine ungewöhnliche Frau, mit einem sehr starken Charakter, mutig und sehr hingebungsvoll.«
    »Alles in allem hatten Sie also eine schöne Kindheit?«
    Sie schwieg und musterte mich eindringlich, als wolle sie meinen Blick deuten.
    »Schön? Ja, vielleicht. Oder meinen Sie damit, dass ich verwöhnt und verzogen wurde?«
    Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. »Keineswegs. Im Gegenteil, nur wenige Leute sind sich darüber bewusst, wie viel sie ihren Eltern verdanken. Das ist ziemlich … rührend. Ich hätte schon Lust, sie kennen zu lernen!«
    »Warum nicht? Wenn wir alles hinter uns haben, könnten wir sie besuchen. Mein Vater ist ein ausgezeichneter Koch.«
    »Ach, dann haben Sie das von ihm. Sie scheinen mit Ihrem Vater enger verbunden zu sein. Bei mir war es genau umgekehrt.«
    »So glaube ich es auch verstanden zu haben.«
    Sie war wieder sehr diskret und drang nicht weiter in mich. Sophie spürte wohl, dass ich nicht über meinen Vater reden wollte, er war schon gegenwärtig genug.
    »Aber jetzt habe ich eine Frage«, meinte sie. »Warum New York?«
    Ich riss die Augen auf.
    »Warum New York? Ich weiß nicht! Ehrlich gesagt, glaube ich, dass es eine spontane Entscheidung war. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich nur noch einen Wunsch: weit weg von meinem Vater zu sein. Die Flüge nach New York waren nicht sehr teuer. Ich habe nicht lange überlegt, ich bin einfach weggegangen. Ich hatte nicht unbedingt die Absicht, zu bleiben, aber dann habe ich mich verliebt.«
    »In eine New Yorkerin?«
    »O nein, in die Stadt New York.«
    »Aha, dann gibt es also keine echte New

Weitere Kostenlose Bücher