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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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dass sie Erfolg hatte.«
    »Doch dass sie bekannt war, heißt ja nicht, dass sie vollständig war! Die große Stärke Jesu bestand darin, sich mit einfachen Worten an das jüdische Volk zu wenden, während die Talmuds viel elitärer waren und überhaupt keine Beziehung zum Alltag der Zeitgenossen Jesu hatten. Wenn man es genau bedenkt, ist ungefähr tausend Jahre später mit den Katharern in Südfrankreich dasselbe geschehen. Zu einer Zeit, da die Predigten immer elitärer geworden waren, weit entfernt von der einfachen und klaren Botschaft Jesu, zu einer Zeit, da die Messe auf Latein gehalten wurde, hatten die wenigen Priester, die sich mit einfachen Worten an die Menschen wandten, in einer Sprache, die sie verstanden, enormen Erfolg. So durchschlagenden Erfolg, dass der Papst Angst vor der Konkurrenz bekam und befahl, allen den Kopf abzuschlagen, ohne Ausnahme.«
    »Alle zu töten?«
    »Ja. Wie dem auch sei, Sie sagen, man kenne die Lehre Christi gut, dennoch gibt es zwei eigenartige Elemente. Erstens ist da die völlig übernatürliche Szene der Verklärung.«
    »Helfen Sie mir auf die Sprünge.«
    »Kurz gesagt: Jesus nimmt Petrus, Jakobus und Johannes mit auf einen Berg, man weiß nicht genau, um welchen es sich handelte, vielleicht um den Thabor, vielleicht um den Hermon, und dort nimmt Jesus göttliche Gestalt an.«
    »Das heißt?«
    »Das ist ja gerade die Frage. Erinnern Sie sich, ich hatte Ihnen gerade erklärt, dass Klemens eine andere Szene erwähnt, in der Jakobus, Petrus und Johannes die Gnosis des auferstandenen Christus erhalten haben sollen.«
    »Ja und?«
    »Laut Dürers Text und den Recherchen Ihres Vaters liegt hier der Schlüssel zu den Evangelien. Jesus soll ihnen eine Botschaft, ein euaggelion, überbracht haben, die aber in der Bibel nicht direkt erwähnt wird.«
    »So etwas wie eine Analyse der Kabbala.«
    »Ja, oder der Hermeneutik. Dürers Meinung nach steht die wahre Botschaft Jesu nicht in der Bibel, die den Notizen Ihres Vaters zufolge lediglich einen verstümmelten geschichtlichen Abriss darstellt, der sich auf Jesus beruft. Seine wahre Botschaft ist irgendwo anders. Wenn man diesen Manuskripten glaubt, ist Christus ein Erleuchteter im besten Sinne des Wortes, der Hüter eines Geheimnisses oder eines absoluten Wissens, und seine Lehre hat nur den einen Zweck gehabt, dieses Wissen zu vermitteln.«
    »Ein absolutes Wissen?«
    »Ich weiß nicht. Eine Offenbarung, eine Wahrheit. Das euaggelion.«
    »Etwas von der Art Gott lebt?«
    »Nein. Damals zweifelte niemand daran. Die Sensation wäre gewesen: Gott existiert nicht. Aber nein, ich glaube, es ist etwas anderes.«
    »Aber was?«
    »Wenn ich es wüsste, wären wir nicht hier. Ich glaube, genau dieses euaggelion war das Ziel der Suche Ihres Vaters, und heute strecken Acta Fidei, der Bilderberg und vermutlich ein ganzer Haufen anderer Neugieriger ihre Finger danach aus.«
    »Das ist doch total irre!«
    »Nicht unbedingt, wenn man es recht bedenkt. Aber warten Sie, es geht noch weiter. Ich erkläre Ihnen, welche Schlussfolgerung Ihr Vater aus Dürers Manuskript gezogen hat, das – ich erinnere Sie – von Leonardo da Vinci inspiriert sein soll: Jesus hat ein Wissen, ein Geheimnis mitbekommen, man weiß nicht genau wann und wie, vielleicht von Johannes dem Täufer, vielleicht direkt, wie ein Wissen um die Zukunft oder wie ein Instinkt.«
    »Von der Art eines Einsteins, der aufwacht und ruft E = mc 2 .«
    »Wer weiß? Auf jeden Fall begann er zu sagen, er besitze ein Wissen, eine frohe Botschaft, die er den Menschen verkünden möchte. Aber mit der Zeit entdeckte er das wahre Wesen seiner Zeitgenossen und begriff, dass er ihnen seine Botschaft nicht direkt übermitteln konnte. Sie waren nicht bereit dafür. Sie würden sie nicht verstehen. Sagte er nicht selbst: Werft den Hunden keine heiligen Dinge vor und werft keine Perlen vor die Säue?«
    »Das ist nicht sehr liebevoll.«
    »Nein. Jesus war nicht immer liebevoll. Er versuchte, die Menschen in ihrer Entwicklung voranzubringen, damit sie bereit waren, seine Botschaft zu verstehen. Er öffnete ihren Geist. Ihrem Vater zufolge ist eine der wichtigsten Lehren Christi, Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, nur ein Mittel, die Menschen darauf vorzubereiten, dieses Wissen zu empfangen. Im Grunde zielte sein ganzes Wirken nur darauf ab. Als er dann sah, dass er verraten war und sterben würde, und dass die Menschen immer noch nicht bereit waren, seine Lehre aufzunehmen, beschloss er, sein

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