Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
bedeckte. Ihr Mann stieß sie in das Loch, und sie fiel hinab. Zwei Vögel packten sie und versuchten, Schlamm vom Grund des Ozeans heraufzuholen, um Land zu machen, auf dem sie leben konnte. Schließlich brachte Kleine Kröte Schlamm herauf, der auf dem Rücken von Große Schildkröte verteilt wurde. Der Schlamm wuchs, bis Nordamerika daraus wurde. Dann brachte die Frau die Kinder zur Welt. Ein Sohn, Junger Baum, war freundlich und erfüllte die Welt mit allen guten Dingen. Der andere, Feuerstein, zerstörte viel vom Werk seines Bruders und schuf alles Böse. Die beiden kämpften miteinander, und schließlich wurde Feuerstein dazu verurteilt, als Vulkan auf dem Rücken von Großer Schildkröte zu leben. Sein Zorn ist manchmal noch zu spüren, wenn die Erde bebt.
Bei diesen Mythen gibt es teilweise Parallelen zur altägyptischen Mythologie, in der sich der Urhügel oder Benben aus dem Meer des Chaos erhob. Der Gott Seth wollte seinen Bruder Osiris töten. Er baute einen Sarg, lockte Osiris hinein, schloss den Deckel, versiegelte ihn mit Blei und warf ihn in den Nil. Ihrer beider Schwester Isis machte sich auf die Suche nach Osiris, doch Seth kam als Erster hin und zerschnitt Osiris in vierzehn Stücke. Isis konnte dreizehn davon finden, doch ein Fisch hatte Osiris’ Penis gefressen. Also machte sie für ihn einen künstlichen aus Gold und sang so lange, bis er wieder zum Leben erwachte.
Die welttragende Schildkröte schaffte es nicht ins ägyptische Pantheon, doch sie war im alten Mittelamerika bei Kulturen wie den Olmeken weitverbreitet. Für viele dieser Kulturen war die Welt sowohl viereckig als auch rund, und ein Kaiman oder eine Schildkröte schwamm im Urmeer und verkörperte die Erde, die er auf dem Rücken trug oder auch nicht. Die Welt hatte vier Ecken, eine für jede Kardinalrichtung (die Haupthimmelsrichtungen) und einen fünften symbolischen Punkt in ihrer Mitte. Der Kosmos war in drei Schichten unterteilt: unten die Unterwelt, oben der Himmel und dazwischen die alltägliche Welt.
Bei einer anderen mittelamerikanischen Kultur, der Maya-Zivilisation, erschufen dreizehn Schöpfergötter die Menschheit aus Maisbrei. Die Welt wurde an ihren vier Kardinalpunkten von vier Bacabs getragen, älteren Gottheiten des Erdinnern und der Gewässer; auf frühen bildlichen Darstellungen tragen sie einen Himmelsdrachen, doch später hielt man sie für im Wasser versunkene Urahnen. Ihre Namen lauteten Cantzicnal, Hobnil, Hosanek und Saccimi, und jeder herrschte über eine der vier Himmelsrichtungen.* [* Es ist faszinierend, wie die Priester immer die Namen von Göttern kennen.] Sie standen in engem Zusammenhang mit vier Wind- und vier Regengöttern. Sie können als Muschel, Schnecke, Spinnwebe, bienenähnliche Rüstung oder als Schildkröte erscheinen. Im Dresdner Codex wird die Schildkröte auch mit dem Regengott Chaac in Verbindung gebracht, der ebenfalls vier Aspekte besitzt, einen für jede Himmelsrichtung.
In der Puuc-Region der Mayas gibt es bei Uxmal ein Gebäude, welches »Haus der Schildkröten« genannt wird und dessen Sims mit Hunderten von Tieren verziert ist. Seine Bestimmung ist unbekannt, aber die Mayas brachten Schildkröten mit Wasser und Erde in Verbindung. Ihre Schalen wurden zur Herstellung von Trommeln verwendet und wohl mit dem Donner assoziiert. Der Gott Pauahutun, der wie Atlas die Welt auf seinen Schultern trug, wird manchmal mit einer Schildkrötenschale als Hut abgebildet. Der Maisgott wird gelegentlich dargestellt, wie er aus einer Schildkrötenschale hervorkommt. Die Mayas nannten das Sternbild Orion Ak’Ek’ oder Schildkrötenstern.
Das Popol Vuh der Quiché-Mayas liefert mehr Einzelheiten. Es erzählt von drei Generationen von Gottheiten, angefangen bei den Schöpfer-Großeltern des Meeres und den Blitzgöttern des Himmels. Die Mayas waren Maisbauern, also stand ihre menschenbezogene Weltsicht naturgemäß mit dem Wechsel feuchter und warmer Jahreszeiten in Verbindung: Ihre Schöpfergötter hatten den Regen und den Vegetationszyklus von Mais hervorgebracht. Ihre Götter traten als Standardpackung auf. Jeder Gott hing mit einem Aspekt des Maya-Kalenders zusammen, also legte eine der Funktionen des Kalenders fest, welcher Gott zu einem gegebenen Zeitpunkt die Oberhand hatte. Oft verfügten Götter über mehrere verschiedene Aspekte, und einige von den Hauptgottheiten hatten vier Aspekte, einen für jede Himmelsrichtung und jeder mit leicht unterschiedlichen Zuständigkeiten.
Das Popol
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