Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
vernachlässigt wird, müssen wir nun eine andere Art von welttragendem Tier einführen: die Schlange.
Den Grund werden Sie gleich verstehen.
In vielen hinduistischen und buddhistischen Tempeln sind die Treppengeländer lange steinerne Schlangen, deren unteres Ende als vielköpfige Königskobra gebildet ist, alle Köpfe mit ausgebreiteter Haube. Dieses Geschöpf wird als eine Naga bezeichnet. Die Nagas von Angkor haben in der Regel sieben Köpfe in symmetrischer Anordnung: ein Kopf in der Mitte, drei Köpfe auf jeder Seite. Eine kambodschanische Legende erzählt von den Nagas als einer Rasse übernatürlicher Reptilien, deren Reich irgendwo im Stillen Ozean lag; ihre sieben Köpfe entsprechen sieben unterschiedlichen Rassen, die mythisch mit den sieben Farben des Regenbogens assoziiert werden.
Das Mahabharata betrachtet die Nagas ziemlich negativ, es stellt sie als heimtückische und giftige Geschöpfe dar, die von Rechts wegen zur Beute des Adlerkönigs Garuda werden. Doch den Puranas zufolge war der König der Nagas, Shesha (alias Sheshanag, Devanagari, Adishesha), eine Schöpfergottheit. Brahma sah ihn zuerst in Gestalt eines frommen menschlichen Asketen und war so beeindruckt, dass er ihm die Aufgabe übertrug, die Welt auf seinem Kopf zu tragen. Erst dann nahm Shesha die Gestalt einer Schlange an, glitt durch ein Loch in der Erde abwärts, bis er ihren Grund erreichte, sodass er, anstatt den Planeten auf seinen Kopf zu legen, seinen Kopf unter den Planeten legte. Wie man das eben so macht.
Warum reden wir von welttragenden Schlangen, die im Kanon der Scheibenwelt nicht gerade hervorstechen?
Welttragende Elefanten sind wahrscheinlich Schlangen, die sich zwischen den Welten verirrt haben.
Das Sanskrit-Wort naga hat noch mehrere andere Bedeutungen. Eine lautet »Königskobra«. Eine andere »Elefant« – wahrscheinlich unter Bezugnahme auf den schlangenähnlichen Rüssel des Tiers. Obwohl welttragende Elefanten in der späteren Sanskritliteratur erscheinen, fehlen sie verdächtigerweise in den frühen Epen. Wilhelm von Humboldt hat die Vermutung geäußert, dass die Mythen von Weltelefanten aus einer Verwechslung der verschiedenen Bedeutungen von »naga« entstanden sein könnten, sodass die Geschichten von der welttragenden Schlange zu Mythen von welttragenden Elefanten verfälscht wurden. Jedenfalls ist dies ein naheliegender Gedanke für eine Kultur, die routinemäßig Elefanten zum Heben schwerer Lasten benutzte.
Klassische Sanskrit-Schriften enthalten viele Bezugnahmen auf die Rolle von Weltelefanten in der indischen Kosmologie. Die bewachen und stützen die Erde an ihren vier Kardinalpunkten, und die Erde bebt, wenn sie ihre Haltung korrigieren – eine phantasievolle Erklärung für Erdbeben. Sie kommen bald zu viert, bald zu acht oder sechzehnt vor. Das Amarakosha , ein von dem Gelehrten Amarasinha um 380 n. Chr. in Versen abgefasstes Wörterbuch, stellt fest, dass acht männliche und acht weibliche Elefanten die Welt tragen. Die männlichen nennt es Airavata, Anjana, Kumunda, Pundarika, Pushpa-danta, Sarva-bhauma, Supratika und Vamana. Über die Namen der weiblichen schweigt es sich aus. Das Ramayana zählt nur vier männliche Elefanten auf: Bhadra, Mahâpadma, Saumanas und Virûpâksha.
Es ist vielleicht kennzeichnend, dass der Name Mahâpadma im Harivamsa und im Vishnu Purana als übernatürliche Schlange erwähnt wird. Wie Drachen in der Mythologie anderer Kulturen bewacht sie einen Schatz. Brewer’s Dictionary beschreibt »eine populäre Fassung eines Hindu-Mythos, in dem die Schildkröte Chukwa den Elefanten Mahapudma trägt, der seinerseits die Welt trägt.«
Diese abweichende Schreibweise scheint von einem Druckfehler herzurühren* [* Es ist wahrscheinlich kein Druckfehler, sondern einfach eine der Segnungen englischer Orthografie, wenn sie auf andere Sprachen angewandt wird; so erscheint beispielsweise das Pandschab als Punjab. Das korrekte »a« findet sich meist in Texten, die direkt aus dem Sanskrit oder einer seiner Tochtersprachen übersetzt wurden. Wir bleiben hier bei der Schreibweise des englischen Originals (oder üblichen deutschen Versionen wie »Wischnu«); die exakte Umschrift mit Punkten, Strichen und Tilden über und unter den Buchstaben ist nur etwas für Indologen. – Anm. d. Übers. ], der sich in einer 1912 erschienenen Ausgabe der Geschichten des Mahabharata findet, wiedergegeben von dem indischen Freiheitskämpfer und Dichter Sri Aurobindo:
Auf dem Podest, dem
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