Das juengste Gericht
nächsten Tagen für eine Gegenüberstellung brauche. Da würdest du doch sicher mitmachen, oder?«
Dubho schielte zu seinem Bruder hinüber und wartete dessen unmerkliches Zeichen ab. »Kein Problem.«
»Kommen wir zu deinem Briefchen. Auf der Rückseite hat Sunita eine Verabredung mit einem K. vermerkt. Wie mir deine Mutter gesagt hat, ist dein buddhistischer Name Khema. Warst du am Todestag von Sunita mit ihr verabredet? Du hattest doch wohl an diesem Morgen ebenfalls schulfrei?«
Dubho riss die Arme hoch, als wolle er alle guten Geister beschwören. »Nein! Von der Aufschrift weiß ich überhaupt nichts. Das müssen Sie mir glauben.«
Schreiner schmunzelte. »Das wird mir ganz leichtfallen, wenn du mir sagst, wo du an diesem Vormittag gewesen bist.«
Ein dunkler Schimmer flutete über Dubhos Gesicht und machte deutlich, dass er errötete. Er zögerte lange mit seiner Antwort und musste mehrmals dazu ansetzen. Mit seinem Zeigefinger drehte er in seiner Oberbekleidung herum. »Ich habe einen guten Freund. Drüben im Stadtteil Niederrad. Er geht mit mir auf dieselbe Schule, sogar in dieselbe Klasse.« Er holte tief Luft.
»Sehen Sie mein Gesicht an. In letzter Zeit bekomme ich immer wieder Pickel. Das finde ich fürchterlich. Welchem Mädchen gefallen schon Pickel? Vor allem Sunita hatte sich darüber lustig gemacht, als ich ihr meine Freundschaft anbot. Ich war entsetzlich verletzt.«
Schreiner hob die Hand. »Stopp! Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Was hat der Niederräder Freund mit Sunitas Abneigung gegen Hautprobleme zu tun, die übrigens sowieso fast jeder Mensch in diesem Alter eine Weile ertragen muss?«
Dubho lächelte. »Ich hatte vergessen zu sagen, dass Petra Eckström, die Mutter meines schwedischen Freundes, in Niederrad ein Kosmetiklädchen hat. Dort war ich an dem besagten Morgen, als es geschah. Sie können fragen.«
Schreiner ließ sich den genauen Namen und die Adresse geben. Er war entschlossen, die Angaben Dubhos umgehend zu überprüfen, um Einflussnahmen jeder Art auszuschließen. Nach einem Blick auf seine Armbanduhr stand er auf. »Ich habe noch einen dringenden Termin. Außerdem denke ich, dass wir durch sind. Deshalb machen wir Schluss. Gibt es noch etwas Wichtiges, das du mir sagen willst?«
»Nein! Ich habe nur noch eine Frage. Glauben Sie mir und werden Sie mich schützen?«
»Was die Bedrohung angeht, werde ich dir auf jeden Fall helfen, so gut ich kann. Das ist mein Beruf.« Schreiner formte die Augen zu Schlitzen. »Ansonsten werde ich über alles, was du mir gesagt hast, gründlich nachdenken. Es wäre klug, wenn du das auch noch einmal tätest.«
Als Schreiner alleine war, verriet seine Miene unverändertes Misstrauen.
36. Kapitel
»Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen« brüllte es am frühen Morgen des 30. November wieder und wieder mit immer stärker anschwellender Lautstärke aus dem Funkwecker neben dem Bett von Hanspeter Schultz. Dieses auf hartnäckige Schläfer abgestimmte Gerät hatte ihm vor ein paar Jahren seine Frau von einer Geschäftsreise aus Japan mitgebracht.
Der Tag war noch nicht angebrochen. Es dauerte noch einige Sekunden, bis der rundliche Körper unter der Decke erste Drehbewegungen machte. Dann langte eine Hand aus den Kissen und machte mit einem Knopfdruck dem Lärm ein Ende.
Schultz richtete sich auf und lehnte sich an den Bettrahmen. Er gähnte und rieb sich die Augen. In seinem Körper fühlte er die bleierne Schwere einer lebenslangen Müdigkeit.
Die halbe Nacht hatte er mit den Akten im Fall Sunita zugebracht. Als er zu dem Foto des goldenen Anhängers der Kette gekommen war, den die Spurensicherung am Tatort des Verbrechens an Sunita entdeckt hatte, meinte er, den Schlüssel zur Lösung des Falles gefunden zu haben. Hier war das Bindeglied. Es war ihm am Ende der Durchsuchung bei Krawinckel einfach nicht mehr eingefallen, obwohl er sich den Kopf zerbrochen hatte. Zufrieden war er für gerade noch zwei Stunden in sein Bett gegangen. Einen Anruf bei Schreiner zu dieser Zeit hatte er für unvertretbar gehalten.
Schultz schaute auf seinen Wecker. Es war genau fünf Uhr. Seine Hand glitt zum Telefonhörer. Nach mehreren Klingeltönen meldete sich eine verschlafene Stimme. »Schreiner.«
»Morgenstund hat Gold im Mund. Hier Schultz. Guten Morgen, Herr Schreiner. Die Nacht ist um. Für Sie nicht schlimm, da man ab einem gewissen Alter nicht mehr so viel Schlaf braucht. Dafür brauche ich jetzt Sie.«
Schreiner brummte etwas
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