Das juengste Gericht
Unverständliches. Mehrmals räusperte er sich und hustete. Er griff neben sich auf seinen Nachttisch und zündete sich eine Zigarette an. Es gelang ihm zu lächeln. »Ausgerechnet Sie um diese Zeit. Was kann ich für Sie tun? Über die wesentlichen Entwicklungen am gestrigen Nachmittag sind Sie ja wohl schon informiert.«
»Natürlich. Darum geht es mir im Augenblick nicht. Ich habe etwas für Sie. Sie können jemanden festnehmen. Die Uhrzeit orientieren Sie am besten an unseren übrigen für heute beabsichtigten Ermittlungen. Das machen Sie doch gerne, oder?«
Schreiner schwieg und hörte Schultz weiter zu. Er war so konzentriert, dass er vergaß, an seiner Zigarette zu ziehen und auf die verbale Spitze eine passende Antwort zu geben. Schultz schloss mit der Bemerkung, Schreiner könne Sennelaub und Pechstein mitnehmen, Köhler solle in Hattersheim nach dem genauen Reiseziel von Frau Vincenzo forschen und Frau Breidel könne zur beabsichtigten Vernehmung Krawinckels in die Staatsanwaltschaft kommen.
Als Schultz mit seinen Ausführungen fertig war, drückte Schreiner den Stummel im Aschenbecher aus. »Das ist ein Ding. Sie sind ein toller Hecht. Diesen Auftrag erfülle ich gerne. Nett, dass Sie mir so früh Bescheid gesagt haben. Dadurch reicht die Zeit noch für meine Vorbereitungen.« Er machte eine Pause. »Im Übrigen habe ich viel Verständnis dafür, dass Sie Ihrem Kollegen Diener in Ihrem Dienstzimmer lieber Frau Breidel als mich präsentieren wollen.«
Schultz sah von einem Kommentar ab und schmunzelte nur. Klar, dass Schreiner das Balzen von Diener gegenüber Natascha Breidel aufgefallen war. »Noch etwas, Herr Schreiner. Wegen der erkennbar gewordenen Bedeutung des goldenen Anhängers sollte umgehend nach Frau Vincenzo gefahndet werden. Wir brauchen unbedingt ihre Angaben. Zur Not müssen wir über die Vertreterin in Berlin an sie herankommen. Es dürfte nichts nützen, den Angestellten ein Foto vorzulegen, da die Krawinckels ausschließlich von der Geschäftsleiterin persönlich bedient worden sein sollen.«
Nach Beendigung des Gesprächs knipste Schultz das Licht aus und gönnte sich noch etwas Schlaf. Den Wecker hatte er auf sieben Uhr umgestellt.
Genau um sieben Uhr schrie das Monstrum erneut los. Schultz holte sich die Zeitung aus dem Briefkasten, klappte das Rückenteil seines Betts hoch und begann zu lesen. Als er den Regionalteil der Frankfurter Rundschau aufschlug, stockte ihm der Atem. Durchsuchung bei Krawinckel, lautete die Überschrift auf der ersten Seite.
Jemand hat nicht dichtgehalten, schoss es ihm durch den Kopf. Er hätte etwas darum gegeben zu wissen, wer die Nachricht in die Zeitung lanciert hatte.
Schultz las gebannt. Der Artikel war voll des Lobes über die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft. Er rühmte, dass endlich eine herkunftsunabhängige Gleichbehandlung von Straftätern durchgesetzt würde. Im danebenstehenden Kommentar stellte der Verfasser fest, dass diese Form der Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes als erkämpfte Folge der 68er-Bewegung anzusehen sei.
Vor Schultz’ geistigem Auge zeichnete sich das Gesicht Thilo Nachtigalls ab, seines Parteifreundes, der bis zu seiner Pensionierung höchstens noch zwei Jahre im Ministerium vor sich hatte. Ihm könnte die Indiskretion zuzutrauen sein. Im gleichen Augenblick verteufelte sich Schultz wegen dieser Vorverurteilung ohne entsprechende Anhaltspunkte. Genau diesen Charakterzug hasste er so sehr bei anderen Menschen.
Als Schultz mit seinem schwarzen Mercedes gegen 9:30 Uhr Richtung Tiefgarage der Staatsanwaltschaft fuhr, verschlug es ihm die Sprache. In der Heiligkreuzgasse standen um die Gerichtsgebäude aufgereiht Heerscharen von Journalisten. Einige von ihnen kannte er persönlich, andere ließen ihren Berufsstand aufgrund der Umhängetaschen und Mikrofone sichtbar werden. Vor der Tiefgarage des E-Gebäudes parkte in einer Nische ein Übertragungswagen des Hessischen Rundfunks.
Immerhin hatte er gestern seine Vorgesetzten und den Pressesprecher informiert. Das würde zur Folge haben, dass er seine Ruhe vor den Journalisten haben würde.
Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft, Kaschinski, war ein erfahrener Mann. Seine milden Augen, seine unaufgeregte Stimme und seine sanften Bewegungen hatten seinen Beliebtheitsquotienten über die letzten Jahre hinweg bei den Medien in die Höhe schnellen lassen. Sein Erinnerungsvermögen und seine Erfahrung waren unbezahlbar.
Kaschinski würde die Medien ohne
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