Das juengste Gericht
habe nichts mehr zu verbergen und nichts mehr zu verlieren. Heute Morgen fuhr ich kurz in die Innenstadt von Bad Homburg, um etwas zu erledigen. Dabei kam mir ein uralter Freund entgegen, mit dem ich seit Jahren zusammen im Golfclub bin. Als er mich von Weitem erkannte, wechselte er den Bürgersteig. Offenbar hatte er Zeitung gelesen. Können Sie überhaupt nachempfinden, welche Welt für mich gerade zusammenbricht?«
Schultz beschwichtigte ihn. »Das mit der Zeitung haben wir nicht veranlasst, Herr Krawinckel. Wir wollen niemand gesellschaftlich untragbar machen. Unsere Aufgabe ist eine andere. Kommen wir zu Sunita. Erzählen Sie uns bitte, wie sich Ihre Annäherung an Sunita abgespielt hat. War es Ihre persönliche Form von Rache an Herrn Beuchert, oder gab es für Ihr Vorgehen andere Gründe?«
Krawinckel reckte die Hände nach oben. »Müssen wir das wirklich erörtern? Sie wissen doch schon alles. Sie haben mein Forum im Internet gefunden und eine Reihe von Zeugen vernommen. Außerdem sagte mir Herr Doktor Schaller, dass Sie Malereien von Sunita sichergestellt haben, die Ihren gegen mich erhobenen Vorwurf stützen.«
»Das trifft zu. Den Beweiswert der Bilder Sunitas hat uns überdies eine Psychologin bestätigt«, sagte Schultz. »Dennoch können wir es Ihnen nicht ersparen, im Rahmen Ihres Geständnisses zumindest den äußeren Hergang darzustellen.«
»Es war keine Rache. Ich unterliege sehr unterschiedlichen Gemütsbewegungen. Es gibt Tage, an denen ich mich gerne mit Gesellschaft umgebe und die Unterhaltung mit zahlreichen Menschen genieße. Zu anderen Zeiten wiederum will ich allein sein und meinen Gedanken gehören. Sunita verstand mich darin. Sie war wesentlich weiter in ihrer Entwicklung, als es ihr Alter vermuten lässt. Sie genoss manchmal aus den Fenstern meines Ferienhauses den Ausblick in die Berge. Diese Erlebnisse vermittelten ihr ein Stück Heimatgefühl und bekämpften ihre gelegentliche innere Leere und Einsamkeit. Dann wieder sprühte sie vor Lebenslust und wollte unbedingt als Künstlerin auf die Bühne. Sie wollte Schlager singen oder Mode vorführen. Hauptsache, unter Menschen. Sie sehen also, es gab zwischen uns eine Art Seelenverwandtschaft.«
Diener griff sich an die Stirn. »Sie wollen damit zum Ausdruck bringen, dass sich zwischen Ihnen und Sunita eine ernst zu nehmende persönliche Beziehung entwickelte? Zwischen einem elfjährigen Kind und einem Mittfünfziger?«
Irritiert schaute Krawinckel zu Diener herüber. Rechtsanwalt Doktor Schaller zupfte ihn an seiner Clubjacke. »Herr Staatsanwalt Diener darf selbstverständlich auch Fragen stellen, Herr Krawinckel.«
Krawinckel nickte. »Sie verstehen nicht, weil Sie sich nur auf den sexuellen Bereich zurückziehen. Sunita hatte in Indien eine Erziehung erlebt, die ganz andere Fähigkeiten in ihr gefördert hatte, als dies hier bei gleichaltrigen Mädchen der Fall ist. Ihr war nie beigebracht worden, dass wirtschaftlicher Erfolg der wesentliche Lebensinhalt sei. Für sie standen alleine Fragen des menschlichen Werdens und Vergehens im Vordergrund. Dadurch entsprach sie nach deutschem Verständnis einer jungen Erwachsenen, allerdings mit erheblich mehr Tiefgang.«
Schultz krampfte die Hände zusammen. Für einen Augenblick ging ihm seine mit neun Jahren verstorbene Tochter durch den Kopf. Er versuchte, die Angaben Krawinckels mit seiner kurzen Erfahrung als Vater abzugleichen und fand keinen Zugang zu Krawinckels Welt. »Diese Interpretation des Reifegrads von Sunita erleichterte Ihnen wohl die Erweiterung des Kontakts auf eine sexuelle Ebene?«
Krawinckel bestätigte die Frage von Schultz mit heftigen Kopfbewegungen. »Jetzt scheinen Sie zu beginnen, die Situation so zu verstehen, wie sie wirklich war. Das ist noch nicht alles. Aus dieser menschlichen Einheit zwischen Sunita und mir erwuchs ein sexuelles Verlangen. Sie werden es vielleicht nicht glauben. Der Anstoß dazu ging von Sunita aus. Ich räume allerdings ein, dass es mir nicht schwerfiel, Ihrem Wunsch nachzugeben.«
Rechtsanwalt Doktor Schaller schaute wenig überzeugt und machte eine entschuldigende Geste zu Schultz hin. Diener verdrehte die Augen und sah zu Breidel hin, die starr den Bildschirm ihres Laptops fixierte.
Schultz spürte einen schlechten Geschmack im Mund und musste mehrmals schlucken. »Das mögen Sie so sehen, Herr Krawinckel. Ich verhehle nicht, dass mir Ihre Schilderung des Verhältnisses zu einem elfjährigen Kind nicht nachvollziehbar ist. Auf
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