Das juengste Gericht
Herren von der Staatsanwaltschaft, das war es. Mein Mandant ist umfassend geständig. Das sollte bei Ihrem weiteren Vorgehen bedacht und ihm zugutegehalten werden.«
Schultz und Diener tauschten einen Blick aus. Schultz schüttelte den Kopf und wandte sich erneut an Krawinckel. »Wir sind noch nicht ganz zu Ende. Sie haben an Allerheiligen am späten Vormittag Familie Beuchert aufgesucht. Zumindest sagen die Eheleute Beuchert dies so aus. Zwischen dem Zeitpunkt des Todes von Sunita und Ihrer Ankunft in der Nordweststadt lagen etwa eine und eine halbe Stunde. Wir wissen das, weil die Armbanduhr von Sunita bei ihrem Aufschlag auf das Straßenpflaster stehen geblieben ist. Zum Zeitpunkt der Überbringung der Todesnachricht Sunitas waren Sie erst kurz vorher im Hause Beuchert eingetroffen. Sie hätten also ausreichend Zeit gehabt, Sunita vorher zu töten. Herr Krawinckel, haben Sie Sunita umgebracht oder haben Sie ein überprüfbares Alibi?«
Krawinckel winkte ab. Sein Gesicht sah alt und müde aus. »Weder das eine noch das andere. Ich habe zu Hause gefrühstückt. Fragen Sie Herrn Kellermann. Vielleicht kann er Ihnen noch sagen, wann ich aufgebrochen bin. Nach dem Frühstück bin ich mit einem meiner Autos durch die Gegend gefahren. Alleine. Ihre weitere Frage, ob ich der Mörder von Sunita bin, zeigt mir, dass Sie von allem, was ich Ihnen vorhin erklärte, nichts verstanden haben.«
»Wie meinen Sie das«, fragte Schultz.
Wieder begann Krawinckel zu schluchzen und hielt die Hände vor sein Gesicht. »Welchen Grund sollte ich gehabt haben, den Menschen umzubringen, den ich am meisten auf dieser Welt liebte? Sie hatte sich zwar in den letzten drei bis vier Monaten verändert. Ihr Verhalten war etwas launisch geworden. Das hing aber damit zusammen, dass sie auch körperlich zur Frau herangereift war. Ich will damit sagen, dass Sunita ihre Periode bekommen hatte. Das ließ sie zurückgezogen und empfindlich auf alles reagieren. Sie stellte plötzlich alles in Frage. Aber das hätte sich wieder gegeben. Es war eine typische Laune der Natur. Sie war und blieb ein einmaliger Mensch. Das wurde mir so bitter und nachhaltig vor Augen geführt, als ich neulich einmal mit ihrer Schwester auf meinem Ferienhaus war. Ich wollte einfach nur vergleichen, inwieweit junge Menschen gleichen Blutes sich ähneln und austauschbar sind. Das war eine herbe Enttäuschung. Sunitas Schwester Rupa ist im Vergleich zu ihr ein Stockfisch. Nichts habe ich in ihr wiedergefunden, was mich an Sunita erinnert hätte.«
Schultz hielt den Redefluss von Krawinckel an. »Sie haben meine Frage mit einer Gegenfrage beantwortet. Es mag sein, dass ich etwas schwer von Begriff bin. Über Motive, die Sie bewogen haben könnten, kann ich nur Mutmaßungen anstellen. Deshalb wäre es schön, wenn Sie hierzu eine Aussage machen würden.«
Krawinckel gab sich verletzt, zeigte allerdings auch einen leichten Ansatz von Zorn. »Hier ist Ihre Antwort, Herr Staatsanwalt. Ich habe Sunita nicht getötet. Es gab keinen Grund. Vermuten Sie, was Sie wollen. Es ist falsch. Ich bleibe dabei. Sunita habe ich geliebt wie keinen zweiten Menschen. Mir fehlt auch jede Fantasie, wer sie umgebracht haben könnte. Gestatten Sie, dass ich jetzt gehe? Das Thema erschöpft mich.«
Schultz schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Fragen mehr.«
»Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Tagen unser vorhin begonnenes Gespräch fortsetzen werden«, sagte Schaller zu Schultz.
Schultz nickte. »Ich rufe jetzt einen Wachtmeister, der Sie beide an einem Nebenausgang herauslässt. Sie können draußen warten.«
Als Schaller und Krawinckel gegangen waren, wandte sich Schultz an Breidel. »Haben wir eine Möglichkeit, Herrn Köhler über Handy nach dem Stand seiner Ermittlungen in Sachen Frau Vincenzo zu fragen?«
»Mache ich«, sagte Breidel und verließ den Raum.
Schultz goss sich einen Kaffee in seinen Boss-Becher, klappte das Fenster und zündete sich eine Zigarre an. Er wandte sich an Diener. »In der Hauptsache hat uns die Vernehmung nicht weitergebracht. Wir klären alle möglichen neuen Sachen auf, von sexuellen Übergriffen an geistig Behinderten bis zur übelsten Körperverletzung, vom Besitz und der Verbreitung von Pornomaterial bis zum sexuellen Missbrauch von Kindern. Nur in der Tötungsgeschichte kommen wir nicht voran. Krawinckel hat zwar für die Tatzeit kein Alibi. Umgekehrt haben wir aber auch keine Beweise gegen ihn. Ehrlich gesagt, nicht einmal Indizien.«
37.
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