Das juengste Gericht
einem in Ihrem Computer abgespeicherten Filmstreifen befasst sich ein Mann, dessen Gesicht nicht gezeigt wird, sexuell mit Sunita. Gleichwohl kommt es zu keiner Erektion. Wie uns Ihre Exfrau mitteilte, waren Sie mangels ausreichender körperlicher Fähigkeiten niemals in der Lage, mit einer Frau geschlechtlich zu verkehren. Wie wirkte sich das in Ihrem körperlichen Umgang mit Sunita aus?«
Krawinckel schlug die Hände vor sein Gesicht. Sekundenlang herrschte eine absolute Stille.
Plötzlich begann Krawinckel, hemmungslos zu weinen. Er zog ein Taschentuch hervor und wischte sich über das Gesicht. »Es hätte alles anders sein können. Schöner! Ich habe sie doch wirklich geliebt. Natürlich gingen wir fantasievoll miteinander um. Wir gönnten uns sämtliche vorstellbaren Arten von Berührungen. Aber das eine fehlte eben immer. Ich habe alles Mögliche unternommen. Ohne Erfolg. Eine Vielzahl medizinischer Kapazitäten habe ich aufgesucht, schmerzhafte Untersuchungen über mich ergehen lassen. Alle neueren medizinischen Präparate zur Potenzstärkung habe ich ausprobiert. Es war nichts zu machen. Niemand konnte mir helfen. Sie glauben nicht, wie beschämend und erniedrigend ein solches Leben sein kann. Wenn man es überhaupt Leben nennen will.«
»Das verhielt sich auch in Ihren beiden Ehen so?«, fragte Schultz.
»Genau so. Auch schon vorher, in meiner Jugendzeit. Alle Begegnungen mit jungen Frauen mündeten in demselben Ergebnis. Jedes Mal stand ich als Versager da. Ich wurde gehänselt und ausgelacht. Manchmal auch bemitleidet und getröstet, was mindestens genauso schlimm war. Wie oft hatte ich ein Mädchen gewonnen. Bis dahin fiel mir alles leicht. Ich konnte reden, überzeugen, verliebt machen. Dann rückte unaufhaltsam das erste intime Zusammensein näher. Meine Angst davor wuchs und wuchs. Trotzdem gewann ständig die Hoffnung die Oberhand, es werde irgendwann doch klappen. Und es folgte wieder eine Nacht voller Ablenkungen, Entschuldigungen und Ausreden. Ich zerbrach daran mehr und mehr. Nur bei Sunita nicht. Ihr schien mein Problem gleichgültig zu sein. Sie empfand es nicht als Versagen. Das gab mir ungeheuer viel.«
»Ich nehme zur Kenntnis, dass Sunita Ihre große Liebe war«, sagte Diener. »Wie verträgt es sich damit, dass Sie ein InternetForum mit Aufnahmen von Ihnen und Sunita bei sexuellen Praktiken einstellten?«
»Sunita wollte es so. Sie fand unseren Umgang miteinander ästhetisch. Die Filme hielt sie für künstlerisch wertvoll. Deshalb meinte sie, die öffentliche Präsentation sei eine Art Filmschauspielerei. Ich folgte ihr, verhehle aber nicht, dass das Wissen, viele Zuschauer zu haben, für mich einen besonderen Reiz darstellte. Das dabei verdiente Geld war nur eine willkommene Nebensache.«
Diener hakte nach. »War Ihre jetzige Gattin über diese besondere Form der Beziehung zwischen Ihnen und Sunita im Bilde?«
»Ich denke schon. Sie gönnte mir das. Ich wurde zusehends ausgeglichener. Das wirkte sich auch positiv auf unsere Ehe aus. Wir gingen lockerer damit um.«
»Wie muss ich das verstehen?«, fragte Schultz. »Sind Sie mit Ihrer Gattin vergleichbar wie mit Sunita sexuell umgegangen. Oder gestatteten Sie ihr zum Ausgleich andere Partnerschaften?« Krawinckel schüttelte den Kopf. »Die Liebe zwischen meiner Frau und mir hat einen ganz anderen Charakter als meine Liebe zu Sunita. Ich will versuchen, Ihnen dies deutlich zu machen. Meine Frau liebt mich abgöttisch, bis zur Selbstaufgabe. Sie würde alles für mich tun. Das hat allerdings weniger mit einer geistigen Übereinstimmung oder mit einer besonderen sexuellen Abhängigkeit zu tun, die es auch ohne eine vollständige körperliche Vereinigung geben mag. Für meine Frau ist das wesentliche Kriterium ihre Dankbarkeit mir gegenüber. Deswegen überhöht sie mich. Sie behandelt mich wie ein Denkmal, das nicht angetastet werden darf. Das hat Gründe. Meine Frau kommt aus sehr einfachen Verhältnissen. Sie hat dort alles Üble erfahren, was ein junges hübsches Mädchen erleben kann. Zumindest hat sie es mir so erzählt. Die Einzelheiten erspare ich Ihnen und mir, weil ich meine, dass sie nicht zur Sache gehören. Außerdem können Sie meine Frau selbst danach fragen. Aus diesem Inferno eines Elternhauses habe ich sie herausgeholt und zu mir genommen. Im Kern ist es vermutlich Liebe aus Dankbarkeit. Aber auch aus Existenzangst.«
Rechtsanwalt Schaller rieb sich die Hände und sah Schultz mit viel sagendem Lächeln an. »Meine
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