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Das juengste Gericht

Das juengste Gericht

Titel: Das juengste Gericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Scheu
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bin ich.«
    Als Krawinckel nach kurzem Blick auf seine Fingernägel mit der Antwort ansetzte, öffnete sich mit einem leisen Kratzgeräusch die Tapetentür. Eine nicht mehr ganz junge, nach wie vor auffällig schöne, dunkelbraun gelockte Frau steckte ihren Kopf
    hindurch und schaute sich suchend um. Beim Anblick der beiden Männer glitt ein Lächeln über ihr weißes Gesicht. Sie trat zwei Schritte in den Raum und machte einen Knicks, wobei sie mit einer Hand den Saum ihres kurzen Spitzenkleidchens anhob. Mit der anderen Hand schwenkte sie winkend einen Stoffteddybär.
    »Onkel Wolfgang ist lieb.«
    Sofort erhob sich Phillip Krawinckel und lief auf die Frau zu.
    »Lisa-Marie! Habe ich dir vorhin nicht gesagt, dass du auf deinem Zimmer bleiben sollst? Geh sofort wieder zurück. Ich werde Herrn Kellermann bitten, dass er zu dir kommt und dir ein schönes Märchenvideo einlegt.«
    Die Frau schmollte. Dann fiel sie plötzlich Phillip um den Hals, gab ihm einen Kuss auf die Wange und verließ den Raum.
    Krawinckel griff in seine Hosentasche und holte ein Stofftaschentuch hervor. Er tupfte sich mehrmals auf Stirn und Hals. Anschließend nahm er wieder Platz, lehnte sich tief in den Sessel zurück und fixierte Beuchert. »Meinst du jetzt immer noch, dass ich dir helfen müsste?«
    »Phillip. Hör doch auf damit. Einmal muss doch Schluss sein.«
    »Meinst du? Es gibt Schulden, die man ein Leben lang zurückzahlen muss.«
    »Ich weiß, wie gnadenlos du sein kannst, Phillip. Du hast zwei Gesichter. Das habe ich am eigenen Leib gespürt. Warum willst du wieder alte Geschichten aufwärmen? Das sollten wir uns gegenseitig nicht antun. Ich gebe zu, dass ich bei unserem Gespräch heute Morgen damit angefangen habe. Darüber hinaus könnte ich dir im Einzelnen vorhalten, wie rücksichtslos du deinen Immobilienbesitz arrondiert hast. Lassen wir das und kommen zum Geschäftlichen. Ich freue mich, dass ich dich überzeugen konnte, und du mir noch einmal unter die Arme greifen willst. Du wirst es nicht bereuen.«
    »Nehmen wir einmal an, es wäre so. Allerdings erwarte ich dafür auch eine Art Entgegenkommen von dir.«
    Beuchert senkte die Augen. »Sag mir nur, warum alles noch einmal von vorn beginnen soll? Ich habe doch deinen Wünschen entsprochen.«
    »Ich sehe keine Veranlassung für eine Erklärung. Die habe ich bereits vor längerer Zeit gegeben. Damit ist deinem Informationsbedarf ausreichend Genüge getan. Außerdem habe ich keine Lust, meine Zeit mit dir zu vertrödeln. Schließlich bist du es, der etwas von mir will. Willst du auf mein Angebot eingehen oder nicht? Ich erwarte ein klares Ja oder Nein.«
    »Phillip, hör mir doch einmal zu.«
    »Ja oder nein?«
    Beuchert wischte sich den Schweiß von der Stirn und rieb über seine feuchten Handflächen. »Na gut, was bleibt mir anderes übrig. Du lässt mir keine Wahl.«
    »Deine Bewertungen interessieren mich nicht. Du kommst bitte in den nächsten Tagen auf mich zu. Ich bereite noch etwas zu deiner Unterschrift vor. Genauso, wie bisher.«
    »Ab wann kann ich damit rechnen?«
    »Das wird morgen erledigt sein. Wie du weißt, brennt bei mir nichts an.«
    Krawinckel erhob sich und ging zur Tür. Beuchert folgte ihm und verabschiedete sich durch ein Kopfnicken. Als er den Raum verlassen hatte, setzte sich Krawinckel wieder in den Sessel. Er stemmte die Ellenbogen auf die Oberschenkel und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Sein Atem ging stoßweise. Tränen liefen von seinen Wangen auf den Teppich. Für eine Weile überließ er sich seiner Gemütsbewegung. Dann wischte er die Tränen mit dem Taschentuch ab und strich mit den Fingern seine Wangen glatt.
    Er fühlte sich mit einem Mal elend und einsam. Er gestand sich mit einer Portion Selbstmitleid ein, dass dies nie anders gewesen war. Wie gerne hätte er einmal über all die Besonderheiten in seinem Leben, deren er sich erinnerte, mit jemand gesprochen. Er hatte nie ein ausreichendes Zutrauen zu einem anderen Menschen gefunden, weder zu seiner ersten noch zu seiner zweiten Ehefrau. Wirkliche Freunde gab es nicht.
    Plötzlich fiel ihm ein, dass er vor einigen Tagen noch seiner Hobbyleidenschaft gefolgt war, einige Bilder von Sunita gemacht und mithilfe seines Bildbearbeitungsprogramms am Computer ausgedruckt hatte. Er entnahm einer Glasvitrine einen in hellbraunem Leder gebundenen Ordner, setzte sich an seinen Schreibtisch und begann zu blättern.
    Er stieß auf eine Abbildung seines Vaters mit dessen erster Frau vor einem

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