Das juengste Gericht
Manchmal ruft er an, wenn er wieder einmal alles durchgebracht hat. Er droht dann, bei Phillips Einladungen aufzukreuzen und sich als naher Verwandter vorzustellen.« Sie schüttelte sich. »Nachts wache ich gelegentlich auf und meine, dass er um das Haus schleicht. Dann habe ich Angst und rufe Phillip. Er kann mich so verständnisvoll trösten, und ich schlafe wieder ein. Die alten Bilder werde ich einfach nicht los. Am nächsten Tag gehe ich dann immer an Mutters Grab und erzähle ihr alles. Es macht mich ganz schwermütig, dass sie nicht mehr antworten kann und so früh sterben wollte.«
»Sie hätte nicht gemusst. Es hat sie niemand gezwungen, uns allein mit Vater zu lassen.«
»Hör auf, Rainer. Du weißt, warum sie es getan hat. Er hat sie in den Tod getrieben.«
»Und wir Kinder standen da und mussten zusehen, wie wir zurechtkamen.«
»Da konnte Mama nichts dafür. Das war er. Außerdem haben wir es geschafft, gut geschafft. Wenn ich sehe, wie gut es heutzutage den meisten Kindern geht und wie undankbar sie sind, könnte ich durchdrehen. Ein Leben auf rosa Wolken. Manchmal beneide ich sie um ihre Kindheit. Sie wissen nicht, wie anders das Leben sein kann, und stellen sich sonst wie an, wenn sie jemand einmal einen kleinen Dienst erweisen sollen.«
»Was meinst du damit?«
»Das geht dich nichts an.«
»Du sprichst in Rätseln. Wahrscheinlich, weil du selbst nie Kinder kriegen konntest. Aber egal. Hauptsache, du hast die Gelddruckerei im Griff.«
»Hör auf, Rainer. Sonst gibt es nichts für dich, keinen Cent.«
»Das will ich nicht hoffen. Schon im Interesse deines Mannes nicht. Weißt du, man hört so dies und das. Aber es gibt Dinge, die besser nicht bekannt werden.«
Ellen Krawinckel kniff die Augen zusammen. »Was willst du damit sagen? Ich glaube, du bluffst.«
»Wenn du sagst, dass ich bluffe, bestätigst du, dass es eine Leiche im Keller gibt. Aber lassen wir das! Solange der Rubel rollt, wollen wir uns vertragen. Kommen wir lieber zu deinem Anruf. Du hast mir am Telefon nicht sagen wollen, was ich für dich tun kann. Beucherts Trauerfall wird dich im Zweifel genauso wenig berühren wie mich. Was ist es dann? Du weißt, ich erledige alles, wirklich alles. Nur die Bezahlung muss stimmen.«
Ellen Krawinckel zog die Augenbrauen hoch. »Für dich sind
3.000 Euro drin.«
»Dafür tue ich alles.«
Die Türglocke schlug an.
»Das muss Beuchert sein. Wir wechseln das Thema, das hier geht ihn nichts an.«
»Moment, Ellen. Sag mir schnell noch, was Phillip neulich mit der denkwürdigen Nacht gemeint hat. Irgendwie hat er Beuchert in der Hand, oder?«
»Du würdest das nur ausnutzen, gleich zu wessen Nachteil. Selbst gegen mich, wenn es dir etwas Geld brächte.«
»Aber Schwesterchen, niemals.«
Beuchert trat durch die Glastür, wischte sich noch im Laufen mit dem Taschentuch über die Stirn und staunte. »Herr Wegmann? Sie hatte ich hier nicht vermutet. Guten Tag, Ellen. Phillip hat mich hierher bestellt. Etwas Geschäftliches.«
Er begrüßte Ellen Krawinckel mit Küsschen und gab Wegmann die Hand.
»Mein Beileid, Wolfgang«, sagte Ellen Krawinckel.
Beuchert nickte. »Es war tatsächlich Sunita. Ich habe sie mir angeschaut. Sie sah schlimm verletzt aus, aber dennoch so friedlich. Wegmann ging zu einem Tischchen in der Zimmerecke und goss sich einen Cognac ein. »Das Leben ist schwer und manchmal nur kurz, Herr Beuchert. Vor allem, wenn man Fehler macht. Danken Sie Gott, dass Sie noch ein Kind haben. Das hilft, den Verlust zu ertragen.«
Bevor Beuchert, der Wegmann mit einem nachdenklichen feindseligen Blick musterte, antworten konnte, öffnete sich eine kaum sichtbare übertapezierte Nebentür und Phillip Krawinckel trat ein. Er musterte die anwesenden Männer nacheinander.
»Ellen, meine Liebe, würde es dir etwas ausmachen, mit Rainer woanders weiterzuplaudern? Ich habe mit Wolfgang etwas Geschäftliches zu besprechen. Das heißt, Wolfgang und ich können auch ins Arbeitszimmer gehen.«
»Nein, bleib nur hier, Schatz. Rainer wollte sowieso gerade aufbrechen. Ich begleite ihn zu seinem Auto. Dabei kann ich die zwei Sätze loswerden, die ich ihm noch sagen wollte.«
Krawinckel lächelte und nickte ihr zu. Ellen hängte sich bei ihrem Bruder ein und zog ihn aus dem Zimmer. Nachdem die Tür sich hinter beiden geschlossen hatte, sah Beuchert Krawinckel mit weit geöffneten Augen an. »Du hast heute Morgen plötzlich deine Ablehnung, mir zu helfen, korrigiert und mich zu dir gebeten. Hier
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