Das juengste Gericht
gestimmt.«
Schultz strahlte und steckte sich eine Praline in den Mund.
»Gut, dass Sie mir das sagen. Ich werde ihn nachher anrufen und gratulieren. Sollte es mit Ihrer Beauftragung wider Erwarten nicht klappen, unterrichten Sie mich bitte. In diesem Fall würde ich mein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen.«
Es kostete Schreiner und Köhler erhebliche Überwindung, nicht laut loszulachen, als sie sich die ständigen Figurprobleme von Schultz vergegenwärtigten. Nachdem die beiden sich verabschiedet und das Zimmer verlassen hatten, erstarb die fröhliche Miene von Schultz augenblicklich.
Vor seinem Auge entstand das Wort Zwischenblutungen.
9. Kapitel
Ein lang gezogener schriller Klingelton hallte vom Gelände der Internationalen Schule Frankfurt bis zum Eingangstor. Dort stand schon den Bürgersteig entlang eine Reihe von Autos mit laufenden Motoren im Halteverbot, um einen Teil der Kinder nach Schulschluss in Empfang zu nehmen. Sekunden später stürzte eine Schar von Schülern unterschiedlichen Alters auf den Hof, sammelte sich umgehend zu kleinen Gruppen und sorgte für einen Anstieg des Lärmpegels auf rund fünfundsiebzig Dezibel. Nur wenige Kinder rannten zum Ausgang.
Schreiner warf seine Zigarettenkippe auf den Boden und trat sie mit dem Schuh aus. »Feiner Laden. Die haben wirklich alle Einrichtungen, die für die Erziehung und Ausbildung von Kindern wichtig sind. Macht alles einen tadellosen Eindruck.« Er schaute auf seine Armbanduhr und anschließend den neben ihm stehenden Köhler an. »Trotzdem! Furchtbar, dieses Klingeln. Das erinnert mich auf schreckliche Weise an meine Kindheit. Jetzt ist die 12:15-Uhr-Pause. Hoffentlich hat sie nicht schon aus und wird abgeholt. Dann wird es schwieriger.«
Köhler rieb sich mit den flachen Händen seine ohnehin schon geröteten Wangen. Er fror. »Was meinst du, Bernd? Sollen wir reingehen oder lieber hier draußen warten?«
»Wir sondieren ein wenig von hier aus. Sie dürfte nicht so schwer zu erkennen sein. Zwar ist dies eine internationale Schule, die alle möglichen Nationalitäten beherbergt. Aber wir wissen, wie sie aussieht, und so viele indische Kinder wird es nicht geben. Wenn sie nicht Schulschluss hat, werden wir sie auf dem Hof ansprechen müssen. Dann kommt sie nicht raus. Das dürfen die Kinder sicher während der Pausen nicht.«
Mit angezogenem Ellbogen schubste Köhler Schreiner an. »Da hinten ist sie. Ich sehe sie schon. Wenn es so bleibt, haben wir Glück. Sie ist allein. Auffallen werden wir trotzdem. Die anderen Kinder werden sie nachher fragen, wer wir gewesen sind.«
»Kein Problem. Wir suchen eine Lehrerin und haben zufällig gerade die kleine Rupa angesprochen, um von ihr eine Information zu bekommen. Zumindest werden wir ihr nahelegen, auf etwaige Fragen in dieser Art zu antworten.«
Die beiden Polizisten betraten den Schulhof und gingen zielstrebig auf die Ecke zu, in der sich Rupa aufhielt. Schreiner lächelte sie an. »Kennst du uns noch?«
Das Mädchen schaute erst eine Weile unter sich. Dann warf sie plötzlich den Kopf nach hinten und strich sich über ihre langen schwarzen Haare. »Natürlich. Ich habe mir fast gedacht, dass Sie kommen würden, weil Sie in Ihrem Beruf immer viele Fragen stellen müssen.«
Die Gesichter von Schreiner und Köhler zeigten eine ehrliche Verblüffung. »Nicht zu fassen«, sagte Köhler.
Rupa zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie mir das nicht glauben, werden Sie mich wahrscheinlich auch sonst nichts fragen wollen.«
Schreiner und Köhler schauten sich an und waren von dem Selbstbewusstsein des Kindes beeindruckt. So hatten sie sich die Unterhaltung mit Rupa nicht vorgestellt. Eine solche Sicherheit im Auftreten hätten sie bei einem achtjährigen Mädchen nicht erwartet.
»Hast du jetzt Pause«, fragte Köhler mit einer leicht hilflosen
Miene.
»Ja! Aber nicht lange. Nur zehn Minuten. Sie müssen sich beeilen.«
»Du hast recht, Rupa. Wir sind gekommen, um dich etwas zu fragen«, sagte Schreiner.
»Ich kann mir auch schon denken, wonach Sie mich ausfragen wollen.«
»Nämlich?«
»Wegen dem, was ich gestern zu Hause gesagt habe. Alle haben es gehört und haben so getan, als hätten sie mich nicht verstanden. Nur Sie nicht. Das fand ich okay. Ich musste zwar weinen, weil Sunita und ich uns sehr lieb hatten. Aber ich habe laut genug gesagt, wie böse sie alle zu Sunita waren.« Sie lächelte. »Deshalb kommen Sie auch hier in die Schule, wo meine Eltern und Onkel Phil nicht dabei
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