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Das juengste Gericht

Das juengste Gericht

Titel: Das juengste Gericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Scheu
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sind.«
    »Du bist klug«, sagte Schreiner. »Ich versuche gar nicht, so zu tun, als würde deine Vermutung nicht stimmen. Warum glaubst du denn, dass alle, die gestern da waren, Sunita nicht lieb hatten?«
    Rupa nickte mit wichtiger Miene. »Aber alles, was ich dazu weiß, kann ich nicht so richtig beschreiben. Weil ich eben nur erzählen kann, was mir Sunita gesagt hat.«
    Köhler lehnte sich gegen einen unmittelbar neben ihnen stehenden Baum. Er rutschte daran ein wenig mit dem Rücken nach unten, um mehr auf Augenhöhe mit Rupa zu sein. »Und was hat Sunita dir gesagt, weshalb deine Eltern und Onkel Phil Heuchler und Lügner seien?«
    Das Mädchen rieb sich rasch über die Augen und schüttelte sich. »Es ist so. Mama Karin ist alles egal, was mit uns zu tun hat. Wir sind eben nicht ihre Kinder. Deshalb hat sie uns auch nicht so lieb. Aber sie lässt uns in Ruhe. Sie ist nicht wirklich böse zu uns. Sie hilft uns allerdings nie, wenn wir mal ein Problem haben. Damit lässt sie uns immer allein. Deshalb sind wir auch nie zu ihr gegangen, wenn uns etwas bedrückt hat.«
    »Hat das Sunita dir so erklärt? Oder findest du das selbst?«, fragte Köhler.
    »Beides. Mama Karin ist zu mir immer abweisend. Sie will nichts von mir wissen.«
    »Gilt das auch für deinen Papa«, wollte Schreiner wissen. Rupa überlegte einen Moment lang. »Nein, Papa ist anders.
    Eigentlich schlimmer. Er macht immer alles, was die anderen von ihm wollen. Er gibt ständig nach und anderen recht. So hat mir das Sunita erzählt.«
    Schreiner nickte. »Hat sie dir einmal ein Beispiel dafür genannt?«
    Das Mädchen trat von einem Fuß auf den anderen. »Wie meinen Sie das? Mir hat sie jedenfalls erklärt, dass Papa immer macht, was Onkel Phil von ihm verlangt. Egal, wie gut oder böse das ist.«
    »Was hat denn Onkel Phil von deinem Vater Böses gewollt? Hat Sunita darüber irgendeine Geschichte gewusst?«, fragte Köhler.
    »Sunita hat gemeint, Onkel Phil tue nur so, als habe er uns lieb. Ich habe jedenfalls Sunita gesagt, dass ich ihn nicht leiden kann, unseren Onkel Phil.«
    »Was hat sie dir darauf geantwortet?«, fragte Schreiner.
    »Das könne sie verstehen. Sie würde ihn auch nicht mögen, weil er zwei Gesichter habe. Er sei aber wichtig für unseren Vater. Deshalb müssten wir freundlich zu ihm sein. Sie sei auf alle Fälle für mich da.«
    Schreiner machte ein verdutztes Gesicht. »Was hat sie damit gemeint?«
    Es klingelte schrill über den Hof. Rupa schaute auf. »Das weiß ich nicht. Sie war eben meine große Schwester, die immer auf mich aufpasste. Aber jetzt muss ich wieder in die Klasse. Sonst kriege ich Ärger.«
    »Einen Moment noch«, sagte Köhler. »Weißt du, wo wir die Klassenlehrerin von Sunita finden können?«
    Rupa lächelte. »Ich verstehe. Wenn jemand fragt, was Sie von mir wollten, sage ich, dass Sie Frau Raasch gesucht haben. So heißt die Lehrerin. Sie ist aber schon nach Hause. Ich habe sie weggehen sehen.«
    Schreiner klopfte Rupa auf die Schulter. »Alle Achtung. Du blickst durch. Vielen Dank auch.«
    Das Mädchen rannte zum Schuleingang. An der Tür drehte sie sich um, lächelte und winkte den beiden Polizeibeamten zu. Dann war sie verschwunden.
    »Ich bin tief beeindruckt, Bernd«, sagte Köhler. »Aber hat uns das weitergebracht?«
    »Kann schon sein. Darüber muss ich noch in Ruhe nachdenken.«

10. Kapitel
    »Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag viel Glück ...«, sangen Ellen und Phillip Krawinckel lauthals. Sie standen zur Mittagszeit in einem kleinen kreisrunden Raum ihrer Bad Homburger Villa um einen festlich gedeckten Tisch. Phillip Krawinckel hielt ein langes Messer in der Hand. Mit dem anderen Arm hatte er sich bei Ellen eingehängt. Um den Hals hatte er eine gewichtige Spiegelreflex-Kamera hängen.
    Mittelpunkt des Tisches war eine hohe Vase aus Bleikristall, in der sich mehr als dreißig dunkelrote Baccara-Rosen befanden. Daneben stand eine in bunten Farben leuchtende Buttercremetorte, die offensichtlich allen Bedenken der Ernährungsindustrie gegen chemische Zusätze widerstanden hatte. Um den Rand des Kuchens brannten zahllose kleine weiße Kerzen.
    Mit strahlenden Augen klatschte Lisa-Marie während der Darbietung des Geburtstagsständchens rhythmisch in die Hände. Dann zupfte sie am Rock ihres gelben Kleidchens im Empire-Stil und richtete die in Ocker gehaltene große Schleife am Rücken oberhalb ihres Gesäßes. »Wie schön, wie schön«, rief sie immer wieder dazwischen. »Alles für

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