Das juengste Gericht
Beuchert könnte ihn zum Beispiel mit dem Wissen über irgendwelche trüben Aktivitäten von Krawinckel in der Hand haben. Wenn es sich um eine Geschichte von früher handelt, würde das auch erklären, warum Krawinckel Beuchert geholfen hat, aus der Haft zu kommen. Jedenfalls fehlt bisher jeder Anhaltspunkt dafür, dass er Grund gehabt hätte, das Mädchen zu töten.«
Schreiner goss Kaffee ein. »Das sehe ich alles genauso. Wenn Krawinckel überhaupt etwas mit dem Mord zu tun hat, fehlt uns eine Art Zwischenstück in unseren Ermittlungen. Wir müssen seine private und geschäftliche Situation ebenso wie seine Beziehung zu Beuchert gründlich durchleuchten. Außerdem interessieren mich die Aufnahmen, die unser halbprofessioneller Fotograf von Sunita gemacht hat, um ihr den Weg für eine Schlageroder Modelkarriere zu eröffnen.«
Schultz nippte an seinem Boss -Becher. »Sie müssen vor allem ungeheuer behutsam vorgehen. Wir müssen über jeden Schritt unserer Ermittlungen an die vorgesetzten Behörden berichten, soweit es um Krawinckel geht.«
Mit einem diabolischen Lächeln auf den Lippen kratzte sich Schreiner am Kopf. Er legte seine Stirn in Falten und fuhr sich durch seine leicht öligen dunklen Haarlocken. »Den Leuten kann geholfen werden. Wir schleichen uns von außen an die Dinge heran. Das wird erst einmal gar nichts mit unserem Freund Krawinckel zu tun haben. Jedenfalls wird er nichts davon mitbekommen. Wir packen ihn so in Watte, dass er nichts hört und nichts sieht.«
Nachdem Schreiner gegangen war, ging Schultz mit kleinen Schritten in seinem Dienstzimmer auf und ab und paffte. Immer wieder blieb er stehen und schüttelte den Kopf. Er trank einen Schluck Kaffee und stellte den Boss -Becher mit einer unwilligen Bewegung ab. »Dieses verdammte Kurzzeitgedächtnis wird immer dramatischer. An irgendeiner Stelle hat dieser Krawinckel etwas gesagt, wo es sich gelohnt hätte nachzuhaken. Wenn mir nur wieder einfiele, was es war«, murmelte er vor sich hin. »Es wird Zeit, dass ich befördert werde. Ich werde alt.«
25. Kapitel
Als Diener die Tür zu seinem Dienstzimmer öffnete, traf ihn fast der Schlag. Obwohl er in den drei Jahren seiner Tätigkeit als Staatsanwalt einiges an Arbeitsbelastung gewohnt war, hatten die Wachtmeister heute die für ihn bestimmten Akten auf dem Schreibtisch von Schultz stapeln müssen, da der Platz auf seinem Aktenbock nicht annähernd ausgereicht hatte. Deprimiert sagte er sich, dass sein dauerndes Untergewicht keine Folge eines exotischen Stoffwechsels sein könne, sondern mit der permanenten Überlastung in Verbindung stehen müsse.
Diener beglückwünschte sich, dass heute keine Sitzung oder ein anderer zusätzlicher Dienst anstand. Anderenfalls hätte er Sorge gehabt, das Pensum nicht mehr bewältigen zu können. Seine ersten Tätigkeiten verrichtete er wie ein Automat: Kaffeemaschine bedienen, Tasche auspacken und den Inhalt auf den Weg geben, Anrufbeantworter abhören, Toilettengang, erste Sichtung der zugetragenen Aktenvorgänge.
Ein Blick auf das postkartengroße Foto in dem Wechselrahmen auf dem Schreibtisch führte Diener vor Augen, dass das Wochenende nicht nur aus Arbeit bestanden hatte. Sein Blick blieb allerdings nicht lange darauf haften. Irgendwie war er seiner letzten Eroberung schon wieder überdrüssig. Am kommenden Wochenende würde er sich nach etwas Neuem umsehen, vielleicht sogar schon früher. Auch wenn er von den Kollegen, die ihn näher kannten, wegen seiner ständigen Affären gehänselt wurde. Wahrscheinlich waren die meisten nur neidisch.
Außer Hanspeter. Der liebte seine Frau, die heute wohl unter das Messer kommen würde. Hoffentlich ging alles gut. Einen schlechten Ausgang der Operation würde Schultz nicht überwinden.
Diener stürzte sich auf die Akten, zuerst auf die einfachen Sachen, um das Gefühl zu entwickeln, schon einiges erledigt zu haben. Am Nachmittag wollte er sich den dickeren Paketen aus der Vertretung von Schultz widmen, bei denen alleine der Lesestoff viel Zeit kosten würde. Zum Glück kannte er einige Sachen vom gegenseitigen Erzählen her.
Das Telefon blieb ungewohnt ruhig. Diener arbeitete enorm schnell. Wie immer. Gegen 11:00 Uhr hatte er bereits einen größeren Berg von Akten für die Wachtmeister auf dem Abtrag liegen.
Es klopfte.
Diener bat einzutreten.
Eine auffällig gestylte Frau mit langen blonden Locken, bekleidet mit einem dunkelbraunen Nerzmantel und Ton in Ton gehaltenen, extrem hohen
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