Das Juwel der Elben
zu erzählen, was mit ihnen geschehen war, aber sie registrierten nicht einmal seine Anwesenheit. Gleiches galt für Lirandil den Fährtensucher. Dass Waffenmeister Thamandor seine Gedanken nicht auffangen konnte, wunderte Daron nicht einmal in seinem Traum, denn schließlich war einer der Gründe dafür, dass Thamandor ein Erfinder geworden war, der Umstand, dass er für Elbenverhältnisse magisch sehr unbegabt war. Deswegen war er gezwungen, Maschinen zu erfinden, die das vollbringen konnten, was andere Elben mithilfe von Zauber und Magie zuwege brachten.
Daron war beinahe froh, als Sarwen ihn schließlich weckte. Es war dunkle Nacht.
Sie brauchte kein Wort zu sagen. „Du bist dran!“ , dachte sie, und Daron atmete tief durch, setzte sich auf, dann murmelte er eine Zauberformel vor sich hin, die dazu diente, die Erinnerung an schlechte Träume zu vertreiben. Die Heilerin Nathranwen hatte ihnen diese Formel beigebracht, und da Daron sie benutzte, wusste Sarwen auch gleich, was mit ihrem Bruder los war.
„Am besten, ich spreche diese Formel schon jetzt, bevor ich die Augen schließe“ , sandte sie ihm.
„Ich hätte von Anfang an daran denken sollen“, antwortete Daron. Sarwen legte sich hin, und Daron tat noch ein paar Brocken des Brennpilzes ins Feuer. Mit einem weiteren Zauber sorgte er dafür, dass die Flammen nicht zu hoch aufloderten und die Pilzstücke nicht zu schnell wegbrannten, denn er wollte nicht dauernd Brennmaterial nachlegen müssen.
Anschließend saß er da und starrte in die Dunkelheit. Der Mond war nur als schwach leuchtender Lichtfleck am Himmel zu sehen. Eine Decke aus dichten Wolken war aufgezogen und verdeckte die Sterne. Und über dem Fluss wallten grauweiß schimmernde Nebelschwaden. Sie wirkten wie ein großes vielarmiges Ungeheuer, dessen Arme bis ans Ufer reichten.
Daron lauschte dem Chor der Geräusche. Es raschelte und knackte. Hier und dort gingen Nachtvögel auf die Jagd nach Kleingetier. Die Schatten ihrer Flügel huschten durch die Dunkelheit, und hin und wieder waren krächzende Schreie zu hören und bisweilen auch das Scharren von Flügelschlangen in der Erde.
Daron sah Sarwen zu, wie sie schlief. Dabei murmelte er einen kurzen Zauber, um sie auch ganz sicher vor dem Traum zu bewahren, den er gehabt hatte. Dann hing er seinen Gedanken nach. Was sollten sie als Nächstes tun? Ein Floß bauen und über den Fluss ins Waldreich übersetzen, in der Hoffnung, auf Zentauren zu treffen? Aber der Fluss war so reißend, dass dies wahrscheinlich völlig unmöglich war. Wahrscheinlich führte der Fluss in einer anderen Jahreszeit weniger Wasser, und es gab dann sogar seichte Stellen. Aber so lange zu warten kam nicht in Frage.
Und sich einfach flussabwärts treiben lassen, bis nach Noram?
Dagegen sprach, dass der Weg über Noram noch viel weiter war, und außerdem hatte Daron nicht die geringste Ahnung, wie weit sie sich stromabwärts treiben lassen mussten.
Das Beste wäre es gewesen, wenn sie Rarax wieder hätten einfangen können, aber der war genau in die entgegengesetzte Richtung geflogen, ging es ihm durch den Kopf. Flussaufwärts, nach Süden. Während er am Feuer saß und grübelte, hörte er plötzlich eine Gedankenstimme in seinem Kopf. Sie war ähnlich deutlich wie die Gedankenstimme von Sarwen, mit der er so oft auf diese Weise in Verbindung stand.
Er blickte auf.
„Steh auf!“ , sagte die Stimme, und Daron blickte sich um, weil er den Verursacher der Gedankenstimme entdecken wollte. Welche Kreatur war es, die da mit ihm auf diese Weise in Verbindung zu treten versuchte?
„Steh auf und komm her!“
Daron tat, was die Gedankenstimme von ihm verlangte. Er ging ans Ufer, wo das Wasser gegen die Böschung plätscherte. Es war rutschig. Daron hielt sich an einer Wurzel fest, und dann fiel ihm plötzlich ein, dass er über ein Problem noch gar nicht genug nachgedacht hatte: Es gab wenig Holz im Wilderland, das sich dazu eignete, ein Floß zu bauen. Die wenigen Bäume hatten verwachsene Stämme.
„Es gibt einen kürzeren Weg für euch!“ , flüsterten ihm die fremden Gedanken ein. „Du brauchst nur zu tun, was ich dir sage!“
Er wollte Sarwens Namen rufen, aber aus irgendeinem Grund konnte er es nicht. Er war nicht einmal in der Lage, ihr einen intensiven Gedanken zu senden, um sie zu wecken.
„Vertrau mir …“ , wisperte die Gedankenstimme.
„Wer bist du?“, fragte Daron.
Da formte sich im Nebel auf dem Fluss ein grau schimmerndes Gesicht, das ihm
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