Das Juwel der Elben
die Blaulinge erzählt. Mehr und mehr vergaß Daron, dass es ein Traum war.
Einige der Jäger erblickten einen großen dunklen Schatten am Horizont. Einen Schatten, der nur von den ausgebreiteten Schwingen eines riesigen Ungeheuers verursacht werden konnte.
Die Jäger redeten aufgeregt durcheinander. Pfeile wurden aus den Köchern gezogen, und eine ganze Blauling-Sippe von mindestens dreihundert Kriegern, Frauen und Kindern freute sich bereits auf eine fette Beute.
Das Riesenfledertier jagte heran. Für Daron gab es keinerlei Zweifel, dass es sich um Rarax handelte, der mit mächtigen Schlägen seiner weit gespannten Schwingen auf die Blaulinge zurauschte.
In den Krallen hielt Rarax etwas, das in der Sonne auf ganz besonderer Weise funkelte, aber offenbar auch aus sich selbst heraus leuchtete. Das musste das Juwel sein, das Rarax vom Dach des steinernen Versammlungshauses gestohlen hatte.
Rarax stieß einen dumpfen, brummenden Laut aus, so als wollte er die Blaulinge einschüchtern und sie davor warnen, ihn anzugreifen. Doch da sirrten bereits Pfeile durch die Luft, und ein paar davon trafen die mächtige Kreatur.
Töten konnten die Treffer das Riesenfledertier nicht. Das Gift, mit dem die Pfeilspitzen versehen waren, diente der Betäubung. Die Flügelschläge des Ungeheuers wurden langsamer und schleppender. Rarax brüllte laut auf. Er versuchte, das Juwel mit seinen Krallen festzuhalten, aber er schaffte es einfach nicht, und das Juwel fiel zu Boden. Dabei leuchtete es auf, sodass die Blaulinge ihm staunend nachstarrten, bis es in das weiche Gras auf den Hügeln schlug. Die Blaulinge heulten triumphierend auf, und sogleich liefen einige der Krieger los, um diesen zweifellos sehr wertvollen Stein an sich zu nehmen.
Aber auch Rarax selbst vermochte sich nicht länger in der Luft zu halten. Er landete hart auf dem Boden, nachdem er seine Flügel kaum noch bewegen konnte. Ein jämmerlicher krächzender Laut drang aus seinem Maul. Aber damit konnte er den Blauling-Jägern, die ihm nun zusetzten, keine Angst mehr machen.
Johlend und ihre Waffen schwenkend liefen sie auf das Riesenfledertier zu und umringten es. Rarax war nicht mehr fähig, sich zu wehren, als die Blauling-Jäger damit anfingen, Seile über das Tier zu werfen und es zusammenzuschnüren.
Daron schreckte auf und sah sich verwirrt um.
Schließlich beruhigte er sich etwas. Es war alles nur ein Traum, ging es ihm durch den Kopf, und er atmete tief durch.
„Was ist los mit dir?“, fragte Sarwen. Sie hatte gespürt, dass mit ihrem Bruder irgendetwas nicht stimmte, und war deshalb zu ihm gelaufen. Daron erhob sich und wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Dann murmelte er eine magische Formel, die ihm half, Klarheit in seinen Geist zu bringen.
„Ich habe von Rarax geträumt“, sage er mit ernstem Gesicht. „Es war nicht einfach nur ein gewöhnlicher Traum, davon bin ich überzeugt.“
„Du meinst, es war ein seherischer Traum?“
„Ja, das könnte sein.“
Seherische Träume, in denen sich die Zukunft oder Geschehnisse an weit entfernten Orten zeigten, waren bei den Elben nichts Ungewöhnliches, und das galt umso mehr für zwei magisch dermaßen begabte Elben wie Daron und Sarwen. Allerdings hatte Daron zum ersten Mal einen derartigen Traum gehabt, in dem Rarax eine Rolle spielte.
„Rarax wurde von Blauling-Jägern gefangen genommen - und das Juwel ist auch in ihren Besitz gelangt“, eröffnete er seiner Schwester.
„Und du glaubst wirklich, dass das nicht einfach nur ein Tagtraum war, wie man ihn auch ab und zu mal hat?“, vergewisserte sich Sarwen.
„Ja, völlig.“ Hatte Daron zuvor vielleicht zumindest noch leichte Zweifel gehegt, so waren diese inzwischen vollständig verflogen. Später, als er wieder neben Koy dem Halbling auf dem Kutschbock saß, sprach Daron mit ihm über seinen Traum.
„Bei uns glaubt man nicht, dass Träume irgendeine Bedeutung haben“, erklärte Koy. „Und mit ›uns‹ meine ich sowohl die Halblingen in Osterde als auch unsere Verwandten, die Kleinlingen, hier im Norden.“
„Aber vielfach kann man in Träumen etwas über die Zukunft erfahren“, wandte Daron ein. „Oder zumindest etwas über sich selbst, über die eigenen Ängste und verborgenen Wünsche.“
„Also ich an deiner Stelle würde mir den Glauben an die Macht von Träumen schleunigst abgewöhnen“, riet ihm Koy. „Du belastest dich nur mit quälenden Fragen und schläfst dann schlecht. Das sollte sich meiner Ansicht nach
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