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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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nach dem Stachel des Insekts spähte. »Kein schöner Anblick«, stimmte sie zu und gab beide Kugeln an Tomik zurück, der sie wieder in den Kasten legte.
    »Ich hab darüber nachgedacht, weil Lucie mich dauernd piesackt, ich solle ihr Ohrringe machen, die wie Schmetterlinge aussehen.Vater hat zu Lucie und Pavel gesagt, dass sie dieses Jahr die Reise nach Prag machen könnten, um unsere Waren zu verkaufen. Lucie möchte die Stadtleute beeindrucken. Und natürlich Pavel.« Er verdrehte die Augen.
    Lucie war seine ältere Schwester. Sie war hübsch, mollig und sollte Pavel heiraten, wenn sie achtzehn würde. Als sie
noch jünger war, hatte sie zusammen mit Tomik und Petra die Wälder erforscht, doch das Trio ging in die Brüche, nachdem Tomik und Petra Lucie empfohlen hatten, mit nackten Füßen durch einem schlammigen Bach zu waten. Und obwohl sie hinterher schworen, nicht gewusst zu haben, dass der Bach voller Blutegel war, wurde Lucie hysterisch, als sie entdeckte, dass an ihren blassen Beinen jede Menge schwarze, Blut saugende Klümpchen saßen. Heulend sprang sie aus dem Wasser, wälzte sich im Gras und stieß ihren Bruder und Petra weg, als die versuchten, die Egel abzuziehen. Schließlich konnten sie sie dazu überreden, sich von ihnen helfen zu lassen, doch die Tränen liefen ihr über die Wangen und sie wimmerte, da jeder abgezogene Blutegel einen Fleck wie einen kleinen Bluterguss hinterließ. Nach diesem Ereignis hatte Lucie beschlossen, dass es nicht so viel Spaß machte, mit Petra und Tomik zu spielen. Offen gesagt ging es den beiden mit Lucie genauso.
    »Ich hab Besseres zu tun, als ihr lächerliche Ohrringe zu machen«, fuhr Tomik fort. »Aber dann hab ich mir überlegt: Was wäre, wenn ich echte Schmetterlinge nähme? Das wäre doch hübsch - aber auch hübsch nutzlos. Ich machte mir klar, dass es Energie verlangt, etwas zu zerbrechen, und ich könnte diese Energie verwenden, um das, was in dem zerbrochenen Glas steckte, zu vervielfachen. Doch hundert Schmetterlinge? Das ist nicht interessant.«
    »Hundert Mal hübscher und hundert mal nutzloser als nur einer.«
    »Genau«, stimmte ihr Tomik lachend zu.

    »Hast du schon mal versucht, Wasser reinzutun?«, empfahl Astrophil.
    Tomik rieb sich das Kinn. »Das ist eine Idee. Schmeiß die Kugel neben jemanden an die Wand und er wird total klatschnass.«
    »Da müsstest du es aber hinkriegen, dass sich das Wasser mehr als verhundertfacht«, gab Petra zu bedenken. »Hundert Wassertropfen sind nicht viel. Das reicht noch nicht mal, um ein kleines Kännchen zu füllen.«
    »Stimmt. Hmm …« Tomiks Blick wurde leer und ausdruckslos, während er überlegte, wie er die vervielfachende Wirkung der Kugeln vergrößern könnte. Dann wurde sein Blick wieder klar und er schaute Petra an. »Aber der Gedanke ist doch gut, stimmt’s? Es gibt so viele Möglichkeiten. Ich könnte auf diese Art fast alles vervielfachen.Was glaubst du?«
    »Ich glaube, dass ich neidisch bin.«
    Damit meinte sie, dass sie ihn bewunderte. Magische Fähigkeiten waren extrem selten - das heißt, sie waren selten, wenn man nicht in eine hochgestellte Familie hineingeboren wurde. Und es war noch ungewöhnlicher, dass Tomik über sein Talent schon in so jungen Jahren verfügen konnte, da sich normalerweise solche Fähigkeiten nicht zeigten, bevor jemand vierzehn war. Das war das Alter, in dem man erwachsen wurde und in dem die Akademie die Söhne und Töchter der Adligen testete, der hochrangigen Armeeoffiziere, der Menschen mit guten Beziehungen und die Kinder von denen, die reich genug waren, den richtigen Leuten riesige Geschenke zu machen. Solche wie
Tomik würden niemals geprüft, geschweige denn aufgenommen werden.
    Tomik ließ den Kasten zuschnappen und klopfte stolz auf den Deckel. »Ich versuche ständig, diese Dinge meinem Vater zu zeigen, doch er unterbricht mich immer sofort. Entweder hat er zu viel zu tun oder er ist zu müde. In einem Augenblick sagt er mir, ich wäre zu jung für die Magie, und im nächsten warnt er mich davor, mit der Magie zu viel Zeit zu vertrödeln. Er sagt dann, dass er sich mit seinen eigenen magischen Fähigkeiten nichts weiter als Ärger eingehandelt habe und sein Leben um einiges einfacher sein könnte, wenn er nur ein normaler Glasbläser wäre. Ich schätze mal, er hat in der Zunft ein paar Freunde verloren.«
    Die meisten Städte und Ortschaften hatten für jedes Gewerbe eine Zunft. Zünfte sind Organisationen, in denen die Geheimnisse des Gewerbes

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