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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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zerschrammten Kasten unter seinem Bett hervor. Er machte ihn auf und brachte Würfel aus Schweineknöcheln, eine Reihe stummeliger Kohlestifte und zahllose Glasmurmeln zum Vorschein. Doch als Petra genauer hinblickte, sah sie, dass sich zwei der Glaskugeln von den anderen unterschieden. Sie waren etwas größer und irgendetwas flackerte in ihnen. Tomik nahm die beiden Glaskugeln aus der Schachtel und hielt sie Petra hin.
    Sie nahm eine und merkte, dass sie leicht und hohl war. In ihr pulsierte hell ein Stern. »Was ist das?«

    »Ein winzig kleiner Blitz. Es war nicht ganz leicht, ihn in das Glas reinzubekommen, aber doch leichter, als man denken mag.«
    »Was meinst du damit?«, fragte Petra.
    »Es ist ziemlich einfach, Blitze mit Magie zu beeinflussen. Weißt du«, erklärte er selbstbewusst, »Blitze und Magie sind irgendwie miteinander verwandt. Wie Vettern.«
    Petra sah ihn an ihn. »Woher weißt du das? Es klingt, als ob … als ob du Unterricht bekommen hättest.«
    »Wohl kaum«, sagte er spöttisch. »Wer würde mir das beibringen? Nein, das Zeug über die Blitze war etwas, das dein Vater mal gesagt hat.«
    »Mein Vater? Dir?«
    »Etwas, das ich ihn hab sagen hören. Zufällig mitbekommen«, erklärte er. »Du weißt ja, wie geistesabwesend er ist, wenn er an etwas arbeitet. Bevor er nach Prag gefahren ist, bin ich mit einem Auftrag von meinem Vater zum Kompass gegangen. Meister Kronos hat irgendwo hingestarrt und mit sich selbst gesprochen. Er hat so was gesagt wie: Es wird mit den Blitzen anfangen. Das ist dann der leichteste Schritt. Die Verwandtschaft zwischen Blitz und Magie. Die Verwandtschaft von Arten mit außergewöhnlichen Kräften. Ich hab nicht lauschen wollen, Petra.« Er suchte ihren Blick, um zu sehen, ob sie damit womöglich nicht einverstanden war. »Es war halt so … Von meinem Vater hab ich keinerlei Hilfe bekommen, wie Magie zu benutzen ist. Deshalb hab ich sehr darauf geachtet, was dein Vater gesagt hat.«
    Petra wusste nicht so recht, was sie erwidern sollte. Nach
dem, was Tomik gesagt hatte, stellte sie sich plötzlich die Frage, ob sie ihrem Vater immer genügend Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Alles, woran sie sich erinnerte, waren Gespräche über Zapfen, Zahnräder, Ziffernblätter und Pendel gewesen, ehe Meister Kronos nach Prag aufgebrochen war. Aber Blitz und Magie? Was in aller Welt hatte das mit der Herstellung einer Uhr zu tun?
    »Egal«, fuhr Tomik fort. »Als ich das von Meister Kronos gehört hab, bin ich auf die Idee gekommen, erst mal mit Blitzen zu experimentieren. Und ich hab es geschafft. Doch dieses Glas zu bestücken, war nichts im Vergleich damit, das hier einzufangen.« Er hob die zweite Kugel. In der schoss eine Wespe hin und her und schlug mit ihrem Stachel gegen das Glas: ping, ping, ping . »Ich hab gedacht, die könnte man nehmen, um Jungfer Jugo einen Streich zu spielen. Die Grundidee bei der Geschichte ist, dass das, was auch immer sich im Inneren der Kugel befindet, sich hundertmal vermehrt, wenn das Glas zerbricht.«
    »Funktioniert das denn?«, fragte Astrophil.
    »Also bei der Kugel mit dem Blitz hat es funktioniert. Die zweite hab ich nach demselben Schema gemacht. Ich habe die erste auf einer Lichtung im Wald ausprobiert und großes Glück gehabt, dass kein Baum abgebrannt ist. Es hat auch noch einen Donnerschlag gegeben, auf den ich so nicht gefasst war. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es mit der hier auch klappt.« Vorsichtig hob er die Kugel mit der Wespe hoch. »Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich es überhaupt wissen will.Wenn ich es will, muss ich das Glas zerbrechen … Also, die Wespen greifen vermutlich den an,
der sich am dichtesten bei der zerbrochenen Kugel befindet. Und nachdem ich sie fertig hatte, ist mir klar geworden, dass ich niemanden so wenig mag, um ihm hundert Wespen hinterherzuhetzen. Das wäre doch schon ziemlich übertrieben, oder? Ich meine«, er unterbrach sich und lauschte auf das Ping, Ping, Ping der Wespe, »eine reicht doch schon. Dazu kommt, dass sich diese Wespe vielleicht an mich erinnert und denkt, es gäbe kein interessanteres Ziel als mich, wer auch immer sonst am dichtesten bei ihr stehen mag.«
    »Sich an dich erinnert?«, spottete Petra. »Sei doch nicht so dumm.Wespen haben kein Hirn, mit dem sie sich erinnern könnten.«
    Tomik verzog das Gesicht. »Es ist nicht das Gehirn, vor dem ich mich fürchte.«
    Petra nahm ihm die Kugel aus der Hand. Das dünne Glas sirrte in ihrem Griff, der fester wurde, als sie

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