Das Kabinett der Wunder
Mädchen schwiegen beide einen Moment lang schockiert.
»Das ist keineswegs das, was ich unter praktizierter Hygiene verstehe«, erklärte Astrophil.
Petra setzte ihren Weg fort und versuchte, den Matsch an ihrem rechten Schuh nicht weiter zu beachten. Sie blieb in der Straßenmitte, wo es ihr weniger wahrscheinlich vorkam, von Dingen getroffen zu werden, die die Leute aus dem Fenster warfen. Es regnete Suppe, Knochen und leere Flaschen von oben.
Es gab keine Bäume in der Stadt und keine Abstände zwischen den Gebäuden. Häuser und Läden standen dicht aneinandergedrängt und viele der Gebäude sahen ziemlich marode aus. Sie stützten sich gegenseitig, waren teilweise abgesackt oder turmhoch und völlig ineinander verschachtelt.
Petra entdeckte einen Wassertrog und schob sich an ein paar Pferden vorbei, um dorthin zu gelangen. Stücke von irgendeinem grünen Zeug und einige Insekten (tote und lebendige) trieben auf dem Wasser, doch Petra war das egal. Sie tauchte ihren rechten Fuß in den Trog.
»Musst du so an meinem Ohr hängen, Astro? Das kitzelt.«
»Dein Haar ist jetzt zu rutschig für mich.Vielleicht hilft es, wenn du es einige Zeit nicht wäschst.«
»Glaub mir, kein Mensch würde es merken, wenn ich das nicht tue.« Petra hatte einen Jungen im Blick, der so aussah, als hätte er sich noch nie in seinem Leben gewaschen.
Und dann passierte das Unerwartete. Petra roch etwas
Köstliches. Sie folgte dem Duft, bis sie in eine Straße einbog, in der sich Laden an Laden reihte. Dutzende von Holzschildern hingen über den Geschäften und zeigten Ochsen, Kerzen, Halsbänder, Drachen, fliegende Pferde und zahllose andere Dinge. Für Petra bestand die Herausforderung darin herauszubekommen, was genau in einigen der Läden verkauft wurde, denn man konnte doch bestimmt keinen Drachen kaufen.
Petra hätte die Antwort auf diese Frage entdecken können, wenn sie in den Laden des feuerzüngigen Drachen hineingeschaut hätte. Doch in diesem Augenblick hatte sie nur ein Ziel, und das hatte alles mit dem süßen Duft zu tun, der sie die Straße entlangzog. Sie bog um eine Ecke und sah einen großen Platz vor sich, vollgepackt mit Reihen von kleinen Marktständen. Zu Astrophils Entzücken häuften sich bei vielen von ihnen Bücher aller Formate, Größen und Farben. »Oh«, sagte er. »Geh mal näher ran.« Aufgeregt packte er Petras Ohrläppchen.
»Astrophil!«, zischte sie und versuchte, keine Aufmerksamkeit zu erregen, denn jetzt wimmelte es von Menschen um sie herum, die meisten in langen schwarzen Talaren, die sie als Studenten der Karlsuniversität auswiesen. »Wenn ich Löcher in den Ohren haben wollte, hätte ich schon längst Dita gebeten, mit einer Nadel reinzustechen.«
Ein Buchhändler mit einem langen, struppigen Bart glotzte sie an. Zum tausendsten Mal wünschte sie, sie könnte sich mit Astrophil in Gedanken unterhalten. Ein Gespräch mit ihm bedeutete, dass alle um sie herum meinten, sie spräche mit sich selbst.
»Tut mir leid«, sagte Astrophil. »Aber können wir nicht trotzdem näher ran?«
»Wenn ich Frühstück gekauft habe.« Sie hatte die Quelle des wunderbaren Dufts ausgemacht, einen Stand, an dem süßes Gebäck verkauft wurde. Einige Menschen hatten sich angestellt. Petra stand hinter einem jungen Mann mit dem Talar der Karlsuniversität. Die Schlange kam nur langsam voran. Ungeduldig kratzte Petra an ein paar Wanzenbissen auf ihrem Arm.
Als nur noch der Student zwischen ihr und dem Frühstück stand, kamen ein Mädchen und ein Junge auf sie zu. Sie trugen die Gewänder der Akademie aus grünem Samt mit einer goldenen Spirale, die auf der rechten Schulter angenäht war. Sie blieben direkt neben dem Mann im Studententalar der Universität stehen, und Petra sah überrascht, dass sie erwarteten, vorgelassen zu werden. Sie war noch überraschter, als der Student zurücktrat und ihnen mit einer Handbewegung den Vortritt ließ.
»Oh, ich kann mich nicht entscheiden.« Das Mädchen blickte auf die Reihen von Kuchen, Plätzchen und Honigbroten. »Kolatschen vielleicht? Ich liebe diesen Klecks von Aprikosenmarmelade in der Mitte. Oder Pfefferkuchen?«
»Nimm einfach was, Annie. Wir müssen zum Unterricht.« Dann sagte der Junge zur Frau hinter der Theke: »Apfelstrudel. Ein großes Stück.«
»Anna.« Das Mädchen funkelte ihn an. »Denk dran, mich Anna zu nennen. Wir sind jetzt erwachsen. Du solltest dich auch so benehmen.«
Er verdrehte die Augen.
»Ist das nicht fantastisch, dass wir in
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