Das Kabinett der Wunder
volllügen, aber sie wird kein Wort glauben von dem, was ich sage. Und wenn ich nichts sage, weiß sie auch, dass ich Probleme anschleppe. Egal, sie wird überzeugt sein, dass das, was sie denkt, dass es passiert, auch passiert.«
»Und was machst du jetzt?«
»Ihr aus dem Weg gehen. Das solltest du auch, denn ich glaub nicht, dass die dich jetzt für ihren besten Kumpel hält.«
Petra stöhnte. Sie hätte Sadi gerne alles erklärt, doch der Plan kam jetzt viel zu schnell ins Rollen - wie eine der Spieluhren ihres Vaters, wenn sie zu hart aufgezogen wurde. Würde sie noch die Zeit haben, Sadi um Verzeihung zu bitten und sie dazu zu bringen, sie und Neel zu verstehen? Doch sie schob diese Gedanken beiseite, denn sie erinnerten sie an etwas, das sie und Neel besprechen mussten: die Zeit.
»Wenn wir an dem Löwen und dem Salamander vorbeikommen …«
»Wenn.«
»Glaub mir, das werden wir! Also wenn wir in das Kabinett der Wunder gelangen, müssen wir schnell sein.«
»Sag mir was, das ich noch nicht weiß«, sagte er kühl.
»Das Kabinett der Wunder ist eine Sammlung. Der Prinz ist reich.Wahrscheinlich hat er Berge von Zeug da drin.«
»Ich warte immer noch auf etwas, was ich noch nicht weiß.«
»Wir müssen uns beeilen, die Augen zu finden.«
»Und was zum Stehlen«, erinnerte er sie.
»Und was zum Stehlen. Die Frage ist: Wie schaffen wir es, in kürzester Zeit rein- und mit dem, was wir haben wollen, auch wieder rauszukommen? Wir können nicht damit rechnen, dass der Prinz ewig beim Abendessen sitzt.«
Astrophil räusperte sich. »Ich glaube, da kann ich helfen«, sagte er stolz.
Als Petra sich Iris’ Labor näherte, hörte sie ein lautes Glasklirren an der Tür, die gleich darauf aufflog. Ein Junge mit weit aufgerissenen Augen kam herausgeschossen. Während ein klumpiger blauer Schleim an der Tür herabsackte, starrte der Junge Petra an und schrie: »Lauf weg!« Dann sprintete er den Flur entlang.
Vorsichtig betrat Petra den Raum, doch Iris wirkte ganz normal. Anders gesagt: Sie sah zwar äußerst verärgert aus, aber zumindest hatte sie noch ihre Kleider an und sie ließ den Boden unter ihren Füßen nicht schmelzen.
»Was hat er getan?«, fragte Petra erleichtert, als sie sah, dass Iris nicht mitten in einer Katastrophe steckte.
»Getan? Getan? Er existiert, das hat er getan! Und du« - sie kniff die Augen zusammen -, »was machst du hier, Viera, Ausfegerin des prinzlichen Arbeitszimmers? Musst du nicht irgendwelche königlichen Füße küssen?«
»Äh, eigentlich wollte ich fragen, ob ich vielleicht hier auf dem Boden der Färberei schlafen kann.«
»Was ist mit dem Schlafsaal der Dienerinnen?«
Überhaupt nichts , dachte Petra, abgesehen davon dass dort jemand wohnt, der meinen Kopf am liebsten auf einem Tablett serviert bekäme. Laut aber sagte sie (und das war gar nicht so verkehrt): »Die Mädchen dort mögen mich nicht.«
Iris stützte die Hand in die Hüfte und dachte nach. Dann sagte sie: »Was hast du mit deinen Augen gemacht?«
Oh nein. Petra hätte am liebsten ihr Gesicht in den Händen verborgen.Wie konnte sie das mit der Belladonna vergessen! »Also weißt du«, stammelte sie, es ist äh... dunkle Augen sind ziemlich beliebt, und ich hab auf die anderen Mädchen Eindruck machen wollen, und ich hab gehört, dass Belladonna...«
Iris hob die Hand. »Ich will gar nicht erst fragen, wie du an die Belladonna gekommen bist. Ich sage dir nur das eine: Nein, du kannst nicht auf dem Boden meines Labors schlafen, weil du hier nicht mehr arbeitest.«
Petra wurde es flau.Wo sollte sie hingehen? Sie war ungeheuer hungrig, weil sie eine weitere Mahlzeit hatte ausfallen lassen, um mit Neel zu reden. Während der letzten Wochen hatte sie gemerkt, wie sie immer wieder von Ditas Essen träumte. Astrophil fand, sie wäre schmal im Gesicht geworden. Und jetzt kam zum Hunger noch die Müdigkeit. Doch sie hatte keine Ahnung, was Sadi tun würde, wenn sie auf Petra träfe. Würde sie dem ganzen Schlafsaal Petras Plan verkünden? Würde sie Petra vor Meister Listek schleifen und verlangen, dass sie gefeuert werden sollte? Nein, Petra konnte es nicht riskieren, auf Neels Schwester zu stoßen. Sie müsste irgendeine Ecke in der Burg finden,
wo sie die Nacht verbringen konnte.Vielleicht gab es irgendwo einen Schrank, oder sie konnte vielleicht in die Bibliothek gehen, sich an einen Tisch setzen und mit dem Kopf auf den Armen schlafen …
Iris unterbrach Petras Gedanken. »Komm mit«,
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