Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
Vom Netzwerk:
ein Spiel zu sein schien, so musste er sie doch sehr dringend gewollt haben. Petra fragte sich, warum sie sich dessen so sicher war. Dann wurde ihr etwas so Offensichtliches, doch auch so Unvorstellbares klar, dass sie bisher nicht darauf gekommen war: Der Prinz musste sich derselben schmerzhaften Operation unterzogen haben,
von der er befohlen hatte, sie an ihrem Vater zu vollziehen. Der Prinz hatte das freiwillig getan. Er hatte sich seine eigenen Augen herausnehmen und mit einem Zauber belegen lassen, damit er sie gegen andere austauschen konnte.
    Petra war fassungslos. Was musste das für ein Mensch sein, der so etwas tat?

Schlechte Nachrichten
    PETRA SASS am Ende der Holzbank, hatte das Handtuch um sich geschlungen und sah den jungen Frauen zu, die aus dem großen Badezuber kletterten. Sie hörte ihr Gelächter und das Tappen nasser Füße auf Stein. Keines der anderen Mädchen, die darauf warteten, an die Reihe zu kommen, saß neben ihr. Sie hatten sich wie Tauben auf dem anderen Ende der Bank zusammengedrängt. Petra suchte wieder einmal den Baderaum nach Susana ab, doch die war nirgends zu sehen. Sogar Astrophil hatte sich von ihr abgewandt und darum gebeten, in einer Ecke des Schlafsaals bleiben zu können. Spinnen brauchen kein Bad , hatte er gesagt.
    »He, Pocki!«, rief Dana. Sadi kam direkt hinter ihr. Ihre Gesichter glühten vom Bad. Dana zog sanft an Petras Pferdeschwanz. »Deine Haare sind gewachsen.«
    »Pocki?« Petra war verwirrt, doch dann erinnerte sie sich daran, wie sie während der ersten Woche in der Salamanderburg ihr eigenwillig kurzes Haar damit erklärt hatte, dass sie die Pocken gehabt hätte. »Hör mal, Dana«, fing sie an und wählte ihre Worte vorsichtig. Dana war Sadis Freundin
und freundlich zu Petra, was aber nicht bedeutete, dass sie Petras Freundin war. »Ich weiß, dass ich hier umwerfend beliebt bin und dass es eine lange Warteschlange von Leuten gibt, die sich mit mir anfreunden wollen, aber könntest du mich vielleicht mit Namen wie ›Pocki‹ verschonen? Denn irgendwie ist es nicht so reizvoll, einen Spitznamen zu haben, der eine Krankheit ist.«
    Dana kicherte. »Tut mir leid. Aber deine Haare sind gewachsen und dunkler geworden und glänzen. Ich hab versucht, dir ein Kompliment zu machen.«
    »In ihrer seltsamen Art«, fügte Sadi hinzu. Sie blickte auf die leere Bank. Während sie sprachen, waren die anderen Mädchen ins Bad getaucht. »Wo ist Susana?«
    »Ich hab sie den ganzen Tag noch nicht gesehen«, brummte Petra.
    Dana sah bedrückt aus.
    »Was ist los, Dana?«, fragte Sadi.
    »Wisst ihr das nicht?«
    »Was wissen?«
    »Susanas Heimatstädtchen Morado ist bis auf die Grundmauern abgebrannt. Ich hab gehört... Ich hab gehört, dass es einen verrückten Gewittersturm gegeben hat. Es war ein schöner Tag, kalt und windig, aber schön. Dann haben plötzlich in mehrere Häuser Blitze eingeschlagen und sie sind in Flammen aufgegangen. Das Feuer hat sich ausgebreitet und... Morado ist nicht so groß und eher etwas armselig. Alles war aus Holz und Stroh gebaut und hat gebrannt. Susanas Familie ist in dem Feuer umgekommen.«
    »Alle?« Petra war entsetzt.

    »Ihre Eltern. Ihre Brüder und Schwestern. Susana hat aber eine Cousine, die in einem Dorf, nicht weit von Morado entfernt, wohnt. Die hat nach Susana geschickt. Meister Listek sagt, sie hätte ihre Sachen gepackt und wäre noch in der Nacht aufgebrochen. Sie war zu durcheinander, um allen Auf Wiedersehen zu sagen.«
    »Ich kann es nicht glauben.« Sadi schüttelte den Kopf. »Wer erwartet schon einen Gewittersturm so spät im Jahr? Was für ein schreckliches Unglück!«
    Nein , dachte Petra. Es ist noch schlimmer.
     
     
    »Nein! Nein, nein, NEIN! «, brüllte der Prinz und schleuderte Metallstücke auf den Boden. Sie glitzerten in dem dunklen, nur von Fackeln erleuchteten Uhrenturm. Der Prinz presste beide behandschuhte Hände gegen seinen Kopf und lauschte auf den Mechanismus, der um ihn herum in Bewegung war, auf die Zahnräder der Staro-Uhr, die ineinandergriffen und sich wie etwas Unaufhaltsames drehten. Er lauschte auf das Klicken, sah das Pendel schwingen und dachte, sein Kopf würde vor Enttäuschung zerspringen.
    Die Wachen auf beiden Seiten des Eingangs zur inneren Kammer des Uhrenturms blickten starr geradeaus. Sie behielten ihre ausdruckslosen Gesichter bei, als hinge ihr Leben davon ab. Und es hing davon ab.
    Die Frau an der Seite des Prinzen wechselte einen Blick mit dem dünnhaarigen Mann mit dem

Weitere Kostenlose Bücher