Das Kabinett der Wunder
kommandierte sie und führte Petra hinter den schwarzen Vorhang. Dort zündete sie eine Kerze an und machte die Tür auf, die Petra schon vor Langem entdeckt hatte. »Das ist mein eigenes Zimmer«, sagte Iris, während sie Petra hineinführte. »Ich habe keine Sehnsucht nach der Gesellschaft dieser Irrwische vom dritten Stock. Hier bin ich näher an meiner Arbeit.«
Es war ein sehr schlichter Raum, fast ohne Möbel, au ßer einem Kleiderschrank, einem breiten Bett und einem schmalen Bett, das an eine Kiste erinnerte. Es gab noch ein winziges Fenster und die Tür zu einem Wandschrank.
»Das ist keine Luxussuite, aber kunstvolle Möblierung ist nicht so sinnvoll, wenn du sie vielleicht einmal im Monat zu Asche verbrennst. Also hier kannst du schlafen, wenn du willst. Sie deutete auf den Bettkasten.
»Wirklich? Iris, das ist so...«
»Eins nach dem anderen. Setz dich.« Sie winkte Petra an den Tisch und verließ den Raum.
Als sie zurückkam, trug sie ein Tablett mit Brot, Butter und einem Becher warme Milch. »Junge Mädchen lieben einen Abendimbiss, wenn ich mich richtig erinnere. Sie setzte das Tablett vor Petra ab, befahl ihr zu essen und Petra gehorchte dankbar.Während sie einen großen Bissen Butterbrot nach dem anderen mit Milch hinunterspülte, holte
Iris Bettwäsche aus dem Schrank. »Meine Nichte Zora hat manchmal hier geschlafen.« Sie wedelte mit der Hand, als wollte sie die Erinnerung daran verscheuchen. »Aber das ist schon lange her.«
Als Petra sich unter dem Federbett eingemummelt und Iris sich in ihrem eignen Bett ausgestreckt hatte, überkam Petra eine so dankbare Zuneigung zu ihr, dass sie einige Augenblicke brauchte, um sprechen zu können. Dann sagte sie weich: »Iris, ich danke dir so sehr. Das ist einfach wunderbar. Ich...«
»Oh, denk es dir nicht zu gemütlich! Ich schnarche.«
Währenddessen kroch zwei Stockwerke über Petra etwas Kleines und Glitzerndes an der Decke entlang. Die Spinne schlich über den Köpfen der Wachen des dritten Stocks entlang (die, wie man zu ihrer Schande gestehen muss, schliefen). Astrophil drückte sich in die Ecke, wo Decke und Wand aufeinandertrafen, und bewegte sich zollweise auf die Tür mit der Pinie und der Eiche zu. Der Löwe und der Salamander blickten in den Flur, sahen aber die Spinne nicht, die sich dem Eingang zu den Räumen des Prinzen näherte. Als Astrophil die Wand erreicht hatte, in der sich die doppelflügelige Tür befand, bewegte er sich vorsichtig entlang dem Türrahmen nach unten, bis er den Boden erreichte. Der Löwe und der Salamander blickten weiterhin ruhig geradeaus. Astrophil schlüpfte unter der Tür hindurch.
Langsam kroch er über den roten pelzigen Teppich des Flurs, doch das war für ihn so schwierig wie für einen
Menschen, sich einen Weg durch die Vegetation des Regenwalds am Amazonas zu bahnen. Daher schoss er einen Spinnfaden an eine der Wände und lief daran im Schein der Rapslampen weiter.
Als er den Saal mit den sieben Türen erreicht hatte, krabbelte er auf die Tür zu, von der Petra gedacht hatte, dass sie ins Kabinett der Wunder führte. Zu seiner Enttäuschung war jedoch der Spalt zwischen Tür und Boden besonders eng. Er versuchte, sich flach zu machen und sich so unter der Tür durchzuschieben, doch er schaffte es nur, mit ein paar Beinen in den Spalt zu stochern, und so zog er sich zurück.Wenn er zur Gattung der fluchenden Spinnen gehört hätte, hätte er jetzt Verwünschungen ausgestoßen. Aber so verzog er nur das Gesicht und versuchte, sich schnell etwas Neues einfallen zu lassen.
Nun war schnell zu denken genau das, was Astrophil am besten konnte. Er steuerte eine andere Tür an, wobei er die vermied, von der er wusste, dass sie ins Arbeitszimmer führte, schaffte es, unter der zweiten Tür durchzuschlüpfen, machte aber ein finsteres Gesicht, als er sah, dass er sich in einer Waffenkammer befand. Er versuchte es bei einer dritten Tür, landete jedoch in einem Badezimmer, dessen Badewanne so groß wie ein kleines Schwimmbad war.
Die vierte Tür allerdings brachte ihn dorthin, wohin er wollte, in das Schlafzimmer des Prinzen. Der luxuriöse Raum wurde fast vollständig von einem gewaltigen Bett mit vier Pfosten eingenommen. Normalerweise hängen bei dieser Art Bett an allen vier Seiten Vorhänge, um den Schläfer während der kalten böhmischen Nächte warm zu
halten, doch im Falle des Prinzen knisterten Feuer in zwei Kaminen. Wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen gab es an diesem Bett keinerlei
Weitere Kostenlose Bücher