Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
der zufolge sie wörtlich genommen werden muss. Das ist eine realitätsferne, dumme Sicht des Dogmas. Die Scharia ist eine Interpretation, die sich notwendigerweise im Laufe der Zeit, je nach Ort und je nach Interpret ändern muss. Unter diesen Bedingungen kann ich mir eine modernisierte Scharia vorstellen. Das ist übrigens auch das Hauptanliegen meines Projekts für Afghanistan: eine Scharia des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu schaffen.«
»Dieses Projekt hat aber keine besonders große Schnittmenge mit dem Ansinnen der Taliban.«
»Noch einmal: Mullah Omar hat nicht das alleinige Anrecht auf das Gedankengut der Taliban. Ich gebe gern zu, dass er Charisma besitzt, aber im Grunde ist er doch ein dummer Grobian.«
»Ich kann über diese Themen keine klugen Gespräche mit Ihnen führen, meine politische Bildung reicht dafür nicht aus«, erwiderte Osama.
»Bleiben Sie am Leben, das wäre schon einmal ein guter Anfang.«
Osama verabschiedete sich von dem mutigen Mullah. Auf dem Rückweg fragte er sich, was er seinen Vorgesetzten wohl erzählen sollte, um die unerhoffte Hilfe zu rechtfertigen. Wenndie geheimnisvollen Westler, die ihn töten wollten, erfuhren, dass ihn – den Leiter der Kriminalbehörde von Kabul – ausgerechnet die Taliban gerettet hatten, dann geriet er direkt ins Auge des Zyklons.
Joseph saß im Kubus und wählte sich ein, nachdem er den Sicherheitscode eingegeben hatte. Das Gesicht des Generals flimmerte über den Bildschirm.
»Wie konnte Kandar entkommen?«, bellte der General ohne jede Vorrede.
»Ich weiß es noch nicht«, gab Joseph zu.
»Wer ist ihm zu Hilfe gekommen?«
»Der Minister hört sich gerade um. Zeugen sprechen von Bärtigen mit Turban.«
»Taliban?«, fragte der General mit eisiger Stimme.
»Möglicherweise. Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Es passt zwar nicht zu seiner Persönlichkeit, aber in diesem Land hier …«
»Das ist mir egal. Es muss eine neue Lösung gefunden werden, um ihn aus dem Weg zu räumen.«
»Ich wünsche ebenfalls, dass er verschwindet. Aber sehen Sie: Bereits zweimal wurde auf Außenstehende zurückgegriffen anstatt auf meine Leute, und zweimal ging die Sache schief. Lassen Sie mich und meine K-Truppe das erledigen, und in drei Tagen sind Sie den Bullen los.«
»Nein, Joseph.«
»Er muss sterben, das haben Sie selbst gesagt. Jetzt, wo die Entscheidung gefallen ist, müssen wir sie auch professionell in die Tat umsetzen. Hatte ich je einen Misserfolg? Ich habe es satt, immer mit Leuten von außen arbeiten zu müssen, die das Ganze dann vermasseln.«
Der General überprüfte nervös, dass alle elektronischen Sicherheitsvorkehrungen getroffen waren. Was sie da besprachen, hätte sie ins Gefängnis gebracht, trotz des Schutzes, densie genossen. Der General wusste, dass er den Bogen schon seit geraumer Zeit überspannt hatte.
»Kommt nicht in Frage. Sie dürfen nicht direkt in diese Geschichte verwickelt werden, Joseph. Das Risiko, dass Sie ausfindig gemacht oder verhaftet werden, ist zu groß.«
»Ich garantiere Ihnen einen hundertprozentigen Erfolg, wenn ich mich selbst der Sache annehme«, wiederholte Joseph.
»Unmöglich. Nicht in Kabul, wir haben nicht genug Kontrolle über das Terrain. Es sind zu viele Geheimdienste vor Ort. Die Pakistanis. Die Russen, die alles mitbekommen. Ich darf sie nicht direkt agieren lassen.«
»Was ist los, General? Ich erkenne Sie nicht wieder. Ist es nicht die Aufgabe der Firma, zu agieren, wenn niemand anders dazu fähig ist? Das ist doch unsere Daseinsberechtigung!«
»Ich habe nein gesagt.«
Joseph ließ sich nicht beirren.
»Nun, dann fahren wir eben alles auf, was die Technik zu bieten hat! Mir kam da ein Gedanke, als ich entdeckte, dass Kandar von Männern mit Turban gerettet worden war. Sie wissen ja, dass ich an seinem Wagen einen Peilsender habe anbringen lassen. Wir wissen zu jeder Sekunde, wo er sich befindet … Machen wir uns doch einfach die Methode der NATO zunutze, wenn sie sich eines Talibananführers entledigen will!«
»Eine Drohne?«
»Genau. Ein einziger Raketenabwurf. Und schon sind wir das Problem los!«
»In Kabul! Sie sind wohl völlig übergeschnappt!«, rief der General empört.
»Wir können ihn ja aus der Stadt locken. Das wäre eine saubere, ordentliche Aktion. Der Peilsender funktioniert noch ein paar Tage lang, wir können zuschlagen, wann wir wollen und wie wir wollen. Die Spur wird nicht zurückzuverfolgen sein!«
»Nur die US-Armee besitzt Drohnen, ich
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