Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
Osama, ich bin so glücklich, Sie heil wiederzusehen. Wirklich, was für eine Freude!«
Sie umarmten sich. Dann wandte sich der Mullah an Nick.
»Ihre Gattin Malalai? Man sagt ihr doch nach, sie sei allergisch auf die Burka?«
»Sie können Ihre Verkleidung abnehmen«, sagte Osama.
Verblüfft sah Mullah Bakir, wie Nicks Gesicht auftauchte. Es war ganz rot vor Hitze.
»Wer ist das?«
»Ein Schweizer Freund. Ich meine, bei meinem ersten Besuch englische Zeitschriften bei Ihnen gesehen zu haben, Sie sprechen es vermutlich.«
»Aber sicher! Willkommen in Afghanistan«, begrüßte der Mullah Nick. »Als ich jung war, habe ich in Genf studiert und in Cambridge.«
Er sprach perfekt Englisch, näselnd-arrogant, wie es sich für einen Absolventen einer Eliteuniversität gehörte.
»Was haben Sie in Europa studiert?«, fragte Osama.
»Zellmikrobiologie. Ich glaube, ich habe es sogar bis zum Doktortitel gebracht …«
»Aber … weshalb sind Sie dann zum Taliban geworden?«, fragte Nick ungläubig.
»Die Taliban von 1995, das war etwas ganz anderes als die von 2001. 1995 hielt man uns für eine Intellektuellenbewegung. Es stimmt, Mullah Omar, der, wie ich vermute, nicht einmal lesen kann, und ich hatten zum Schluss ein ziemlich schwieriges Verhältnis. Aber bitte, nehmen Sie doch Platz, ich werde Ihnen gleich den Tee servieren.«
Osama ließ ihn gewähren. Schweigend warteten sie, bis der Tee abkühlte.
»Sie haben gut daran getan, mich gleich aufzusuchen«, sagte Mullah Bakir. »Der Minister hat erklärt, Sie hätten sich in die Berge geflüchtet und Ihre Männer im Stich gelassen, als diese massakriert wurden.«
»Was für eine feige Lüge!«, ereiferte sich Osama. »Ich, ein Mudschaheddin, hätte mich vor dem Kampf gedrückt?«
»Alle, die Sie kennen, wissen es besser, angefangen bei Ihren eigenen Männern. Aber was vermögen schon ein paar ehrliche
Pules
gegen die Staatsgewalt? Übrigens weiß ich nur zu gut, dass es auf jener Straße in den vergangenen zwei Wochen keinen Angriff der Taliban gegeben hat.«
»Meine Freunde werden mir helfen.«
»Die wird man zum Schweigen bringen.«
»Wer ›man‹?«
»Die Leute, die der ISAF nahestehen«, erwiderte der Mullah und warf Nick dabei einen Seitenblick zu. »Amerikaner, Franzosen, Engländer, vielleicht erfahren wir es eines Tages. Jedenfalls bin ich sicher, dass der Westen seine Hand im Spiel hat. Nette Leute, so zivilisiert … Natürlich, jemanden mit einem fünfhunderttausend Dollar teuren Geschoss umzubringen, das von einer ultramodernen Drohne aus abgefeuert wird, ist politisch weitaus korrekter, als jemandem die Kehle aufzuschlitzen, wie es meine Talibanfreunde tun. Die Ungläubigen, vor allem die Amerikaner, lieben die Technik über alles. Jemanden mit einem technisch ausgefeilten Objekt zu töten – das ist in ihren Augen kein Mord … Aber ist es moralisch besser? Denken Sie ruhig mal über diese interessante Frage nach.«
»Warum helfen Sie uns?«, fragte Nick.
»Wer sagt Ihnen, dass ich das tun werde? Sie sind ja schließlich nur ein Nazarener.«
»Hören Sie auf mit Ihren Spitzfindigkeiten.«
Ein Lächeln zeichnete sich auf Mullah Bakirs Gesicht ab.
»Sie haben recht. Ich habe nichts gegen die Ungläubigen, sollen sie doch ihren Gott anbeten, oder auch gar keinen, wie es derzeit in Europa Mode zu sein scheint. Ich respektiere den Glauben aller, solange man uns so leben lässt, wie wir es für richtig halten, als korangläubige Muslime. Was wissen Sie über die Beziehungen zwischen den Taliban und dem Westen?«
»Sie haben Bin Laden und seine Bande aufgenommen. Sie haben ihm dabei geholfen, die Attentate auf den Westen vorzubereiten, darunter auch das vom 11. September, bei dem Tausende von Amerikanern umkamen. Das ist es, was ich über die Beziehungen der Taliban zum Westen weiß!«
»Stellt sich Ihr Freund nur so dumm oder ist er es tatsächlich?«, fragte Mullah Bakir, an Osama gewandt.
»Die Attentate vom 11. September haben den Westen sehr nervös gemacht«, beschwichtigte Osama. »Und ganz so unrecht hat er nicht mit dem, was er sagt.«
»Das stimmt«, pflichtete der Mullah bei. »Sie sind jung und wissen über bestimmte, lokal begrenzte Gegebenheiten nicht Bescheid. Nun, bevor Mullah Omar den unverzeihlichen Fehler beging, al-Qaida und deren arabische Freunde mit offenen Armen zu empfangen, war unser Regime von den westlichen Regierungen wohlgelitten, wir hatten äußerst korrekte Beziehungen zu ihnen. Bis 1997 wurden wir sogar
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