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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
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Molkereiprodukte, vor das schon ein graues Rollo heruntergelassen war und das im Nachtlichtmodus hinter diesem Rollo gespenstisch hervorleuchtete.
    Die Radiostimme sprach von Salatgurken und von einem Preissturz, und ich weiß noch, dass es in meinem Kopf dafür ein passendes Bild gegeben hatte. Das nachfolgende Lied handelte, glaube ich, von einer Gruppe junger Rinder, die ihrer Herde abtrünnig wurden, durch den Wald liefen und Abenteuer erlebten. Irgendwann nahm ich am Rand meines Bewusstseins noch wahr, dass endlich jemand das Radio ausschaltete und eine Ruhe einkehrte, zumindest in die Gänge des Supermarktes.
    Als der Wirbelsturm am 16. März 1889 mit einer solchen Wucht in den Hafen und die Bucht von Apia einfiel, dass alle vor der Küste versammelten Kriegsschiffe entweder sanken oder bis zur völligen Schlachtuntauglichkeit zerstört wurden, waren von den Kapitänen unterschiedliche Versuche angestrengt worden, die Leben ihrer Besatzungen zu retten.
    Zu diesem Zeitpunkt befanden sich in der Bucht die Schiffe Trenton, Vandalia, Nipsic, Calliope, Adler, Olga und Eber.
    Kapitän Fritz, Kommandeur der SMS Adler, gab am Nachmittag des 16. März, nachdem er mitangesehen hatte, wie um ihn herum die Schiffe in der schwarzen See versunken waren, den Befehl, die Vertäuungen und Ankerketten, die bis dahin die Adler noch am Platz gehalten hatten, in genau dem Augenblick zu kappen, in dem die nächste Riesenwelle in die Bucht hereinrollen würde.
    Der Teil seiner Besatzung, der noch nicht von Bord gespült worden war, positionierte sich, so gut es in dem um sie herum aufspritzenden und über das Deck hinwegspülenden Meerwasser eben ging, an den entsprechenden Stellen und wartete auf das Zeichen des Kapitäns.
    Fritz schaute von der Kommandobrücke aus über die gesamte Länge des lädierten Schiffskörpers hinweg auf die Wand aus Wasser, die sich vor ihnen auftürmte, ließ seinen hoch erhobenen Arm theatralisch nach unten fallen und seine Mannschaft löste das Schiff in genau dem Moment aus der Verankerung, als es sich am Fuß einer mächtigen Welle befand, von der es schließlich wie etwas beinah Schwereloses angehoben und seitlich auf dem Absatz eines Korallenriffs wieder abgesetzt wurde.
    Die vom stundenlangen Sturm und Regen, von den Wellen, die über sie hinweggegangen waren, schon vollkommen entkräfteten Matrosen fielen vom senkrecht aufgestellten Deck ins seichte Wasser und konnten dort von den bereits vom Ufer herbeischwimmenden Samoanern gerettet werden.
    Die Einheimischen machten zu diesem Zeitpunkt auch keinen Unterschied mehr zwischen den Nationalitäten, sondern fischten einfach heraus, wen sie noch zu fassen bekamen.
    Als sich am nächsten Morgen das Wetter und das Meer wieder beruhigt hatten und an die samoanische Küste nur kleine Wellenhügel friedlich heran rollten, war das Ausmaß der Zerstörung lediglich an der auf dem Korallenriff seitlich aufliegenden SMS Adler abzulesen. Von den übrigen Schiffen war in der Bucht keine Spur mehr geblieben.
    Fast zwei Wochen später, am 30. März 1889 erschien in der Tageszeitung New York Times erstmals ein Artikel über das Unglück in der Bucht von Apia.
    Es handelte sich dabei um nicht viel mehr als eine Aufzählung des Zerstörten, eine Hochrechnung der Toten und eine namentliche Erwähnung der beteiligten Kapitäne auf amerikanischer Seite. Die Details, sowohl die herbeischwimmenden Samoaner als auch die unwahrscheinliche Rettung großer Teile der Besatzung der SMS Adler, blieben unerwähnt.
    Die New York Times bezog zu diesem Zeitpunkt ihre Informationen über die Geschehnisse in Samoa von einer Außenstelle in London. Die Nachrichten von der Insel wurden über Neuseeland nach Australien, nach Banjowanjie, Singapur, Penang, Madras, Bombay, Aden, Suez, von dort nach Alexandria, Malta, Gibraltar, Lissabon und schließlich nach London telegrafiert, wo sie aufbereitet und nach New York weiterverschickt wurden.
    Vielleicht hat es an diesem langen Weg gelegen, den die Geschichte genommen hat, sage ich zu Richard, bevor sie schließlich als Artikel in der New York Times erscheinen konnte, an dieser flüsterpostartigen Weiterreichung der Information, wo an jeder Stelle wieder ein Stück abfällt, sodass am Ende nur noch Zahlen und Namen übrig geblieben sind.

Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, weil mir das Vorderrad eines Einkaufswagens gegen den Fuß fuhr, bemerkte ich, dass ich mich wohl kurz hingesetzt hatte auf den gefliesten Boden, was mir gleich

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